Entbürokratisierung und bürokratische Entfesselung sind Schlagworte, die von der Europäischen Industrie, Wirtschaft aber auch Landwirtschaft ständig eingefordert werden, vor allem auch um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die hohen Standards, die die europäische Gesellschaft an die europäische Produktion stellt, sind grundsätzlich verständlich, wenn gleichzeitig sichergestellt werden kann, dass importierte Produkte, die am europäischen Markt in Konkurrenz zu europäischen Produkten stehen, denselben Standards genügen. Als Gesellschaft kann ich nicht höchste Standards fordern und vorschreiben, aber über die Hintertür „billige“ Produkte mit niedrigen Standards kaufen. So wie diese Maxime im internationalen Handel zu gelten hat, so sollte sie erst recht am gemeinsamen Binnenmarkt gelten. Ein gutes Beispiel hinsichtlich unnachvollziehbarer Bürokratie und Ungleichstellung zwischen den Erzeugerländern sind die Vorgaben des Pflanzenschutzes und ihre rechtlichen Bestimmungen.
Backpulver: In der Küche verwendet, im Weinbau eingeschränkt
Das EU-Pflanzenschutzrecht hat höchste Standards bei der Anerkennung eines Pflanzenschutzmittels, was den Schutz des Anwenders, Rückstandsproblematik und vieles mehr betrifft. Daneben sieht das EU-Pflanzenschutzrecht aber auch eine sogenannte Grundstoffliste vor. Diese Grundstoffe dürfen ohne entsprechende Anerkennung und Etikettierung auch zum Zwecke des Pflanzenschutzes eingesetzt werden. Pflanzenschutzgrundstoffe sind natürliche Stoffe, die zwar nicht primär für den Pflanzenschutz entwickelt wurden, aber dennoch für den Schutz von Pflanzen vor Schädlingen und Krankheiten verwendet werden können. Sie sind eine Alternative zu synthetischen Pflanzenschutzmitteln und oft auch für den ökologischen Landbau zugelassen. Einer dieser Grundstoffe ist das Natriumhydrogencarbonat, ein Stoff, der in der Küche im Backpulver verwendet wird. Ein Grundstoff, der auch im Weinbau eine gewisse Wirkung gegen Echten Mehltau aufweist und gerade im biologischen Weinbau den Aufwand an Schwefel zu reduzieren hilft.
Eine Pflanzenschutzmittelfirma hat den Wirkstoff Natriumhydrogencarbonat in Deutschland und Österreich als Pflanzenschutzmittel gegen Echten Mehltau im Weinbau beantragt und zugelassen bekommen. Das bedeutet, dass Natriumhydrogencarbonat („Backpulver“) in anderen Ländern wie bisher als Grundstoff auch im Weinbau verwendet werden kann, aber auch innerhalb Österreichs andere Kulturen – mit Ausnahme des Weinbaus – Backpulver als Grundstoff im Pflanzenschutz einsetzen können.
Deutschland und Österreich müssen, wenn sie Backpulver im Weinbau verwenden wollen, das zugelassene Pflanzenschutzmittel verwenden. Der Unterschied zwischen Natriumhydrogencarbonat als Grundstoff und dem Natriumhydrogencarbonat als registriertes Pflanzenschutzmittel liegt auf der Hand: Das Pflanzenschutzmittel ist fünfmal so teuer wie der Grundstoff. Natürlich hat ein zugelassenes Pflanzenschutzmittel hohe Anforderungen an Sicherheit, Wirksamkeit und Rückstandsgrenzwerten, was mit hohen Investitionen in die Zulassung verbunden ist. Doch der Weinbau findet im gleichen Binnenmarkt statt.
Kaliumphosphonat - Veto aus dem Süden
Eine ähnliche, wenn auch etwas anders geartete Situation haben wir mit dem Kaliumphosphonat im biologischen Anbau. Kaliumphosphonat war über viele Jahre als Pflanzenstärkungsmittel gelistet und damit auch im biologischen Weinbau zugelassen. Solange, bis europäische Behörden bestätigten, dass Kaliumphosphonat nicht nur eine pflanzenstärkende, sondern auch eine pflanzenschützende Wirkung gegen Falschen Mehltau (Peronospora) hat. Da dieser Wirkstoff nicht in der Bio-Verordnung gelistet ist, darf er seitdem im Bio-Weinbau nicht mehr verwendet werden. Obwohl Kaliumphosphonat ein natürlich vorkommender Stoff ist und somit aus unserer Sicht biotauglich wäre.
Seit Jahren wird von deutscher und österreichischer Seite versucht, eine Zulassung von Kaliumphosphonat im biologischen Anbau zu erreichen. Trotz stichhaltiger Argumente mit denen man Kaliumphosphonat als geeignet für den biologischen Anbau begründen kann, konnte man in den europäischen Gremien bis dato keinen Durchbruch erreichen. Nicht zuletzt auch wegen des Vetos südlicher Weinbauvertreter. Manch einer könnte dabei den Eindruck gewinnen, südliche Anbauländer wollen durch das Verbot von Kaliumphosphonat aufgrund des geringen Peronospora Drucks in den südlichen Anbaugebieten einen Wettbewerbsvorteil erlangen.