12. Leserreise nach Bulgarien

Na zdrave – hinter uns der Kommunismus

Ein Artikel von DI Walter Kaltzin | 15.02.2024 - 14:33

Nachrichten aus Bulgarien sind selten, zumeist handelt es sich um Meldungen zu gescheiterten Regierungen und/oder Korruptionsvorwürfen. Das Erbe des Kommunismus lastet auf dem Land, erst jüngst hat aber eine neue Regierung ohne kommunistische Beteiligung das Ruder übernommen, Hoffnungen keimen auf. Weinbaulich profitiert man seit 2007 vom EU-Beitritt, neue Kellertechnik wird seitdem forciert.

Zuerst die geografische Einordnung: umgeben von Rumänien im Norden, im Westen von Serbien und Nordmazedonien, im Süden von Griechenland und der Türkei. Sofia, die Hauptstadt, dient als Ausgangspunkt für unsere ersten Entdeckungsfahrten in den Norden und Westen. Aber auch die Stadt selbst hat architektonisch viel zu bieten. Sie kann auf eine lange Geschichte zurückblicken, die den thrakischen, römischen, byzantinischen und osmanischen Einfluss widerspiegelt. Einerseits zeigt sich durchaus das europäische Flair einer EU-Hauptstadt, andererseits sind die slawischen Denkweisen präsent, wie unsere Reiseführerin augenzwinkernd anmerkte. Das Land kam in seinen besten Zeiten auf rund 9 Millionen Einwohner, heute sind es weit weniger: 6,5 Mio. Ein wenig (nicht gesicherte) Weinbaustatistik: Gab es früher noch über 100.000ha Rebflächen, rechnet man heute mit einer Fläche von etwa 65.000ha, dabei werden nur 1,5 bis 2 Mio. hl produziert. Die Hauptanbaugebiete sind: Donauebene im Norden; Schwarzmeerregion, Rosental in Zentralbulgarien, Oberthrakische Tiefebene im Süden und Struma-Tal im Südwesten. Klima: von kontinental bis mediterran.

Weinbauliche Stationen

Der erste Betrieb auf unserer langen Liste: die Tipchenitza Winery, benannt nach dem gleichnamigen Ort nördlich von Sofia. Es handelte sich um ein Boutique-Weingut, das auf internationale und autochthone Rebsorten auf den Nordhängen des Balkangebirges setzt. Die Lese der roten Sorten, Cabernet Sauvignon, Merlot und Rubin (Kreuzung Nebiolo x Syrah), erfolgt aufgrund der Höhenlage (ca. 600m) sehr spät. Die Erträge sind wegen der kargen Böden gering. An weißen Sorten sind Chardonnay, Sauvignon Blanc und Vrachanski Misket zu nennen. Die Oberkellermeisterin und Direktorin führte durch den jungen Betrieb, der auf einer alten Kellerei fußt und seit 2017 mithilfe eines Investors auch optisch aufgepeppt wurde und wird.

Dem erfreulichen Start folgte ein geniales Picknick am Flussbett der Iskar vis-à-vis eines beeindruckenden Felsens und unweit des geschichtsträchtigen Ortes Vratska, wo einst die Bulgaren gegen die Osmanen (vergeblich) kämpften. Dort stellten sich „The Jolly Vintners“ vor. Hinter der jungen Truppe steht ein lustiges Team von Weinliebhabern, die auf kleiner Fläche selbst Wein machen, aber auch Trauben aus verschiedenen Regionen zukaufen. Zum Imbiss von herzhaften lokalen Produkten gab es einige erfrischende Weine autochthoner Sorten, aber auch den Gästen zuliebe einen Riesling. Man schmeckte den Weinen den unkomplizierten Zugang der Gruppe um Dimitar Dimitrov, der von der Marketingseite kommt, an. Den Weg zurück nach Sofia bestritten wir per Zug, der durch die wunderschöne und malerische Iskar-Schlucht führt.

Der dritte Tag führte uns ausgehend von Sofia bereits Richtung Süden, erste Station: Weingut Medi Valley. Es befindet sich am südwestlichen Fuß des Rila-Gebirges (600m Seehöhe), an der malerischen Straße zum Rila-Kloster. Von hier aus beginnt die südwestliche Weinregion, das Struma-Tal. Rund 40ha Weingärten sind hier im Besitz eines Industriellen, die Kellerei selbst stammt aus 2007 und ist in Weingärten eingebettet. Das Sorten-Portfolio: Chardonnay, Traminer, Sauvignon Blanc, Cabernet Sauvignon, Merlot und Cabernet Franc, also sehr international. Es werden aber auch Weintrauben aus dem Donautal, wo es (noch) wärmer ist, zugekauft. Die rund 300 Barriques unterstreichen die Rotweinkompetenz. Die Preise: unter bzw. um 10€.

Die kleine Stadt Melnik mit rund 200 Einwohnern und im Wesentlichen einer langen Hauptstraße ist von steilen Sandsteinfelsen fast völlig eingeschlossen. Dort besuchten wir ein altes Winzerhaus aus dem 18. Jh., Handel und Produktion von Wein dürften die Familie zu den reichsten im Ort gemacht haben. Der Bau zeigt den Einfluss der langen osmanischen Herrschaft und hat ein Labyrinth unterirdischer Gänge. Zu kosten gab es die Breite Rebe von Melnik und Ruen, eine Kreuzung. Ansonsten ist die Gegend für viele Hausweine, also kleinste Privatweingüter, bekannt.

Den Abschluss des Tages inklusive Nacht verbrachten wir in der Villa Sintica, nach Eigendefinition ein Wine Resort. Der junge Betrieb produzierte 2008 seine ersten Weine, als Weinkeller dient ein Keller der ehemals staatlichen Versuchsstation. Dort sind früher viele Züchtungen entstanden, u.a. die Sorte Melnik 55 (Synonym Frühe Melnik), sie gilt als hochwertig. Die Weingärten (22ha) liegen abseits vom Hotel, Rot überwiegt. An Sonnenstunden mangelt es nicht (die Lese beginnt mittlerweile schon Ende August). Heuer gab es von April bis Juni ständig Regen, beklagte sich der Winzer. Die Weinproben spiegelten zum Teil das heiße südländische Klima wider – ambitioniert, aber zu viel des Guten.

Mit einer Fahrt über den malerischen Pass Popovi Livadi – unser Busfahrer zeigt dort seine Qualitäten an der traditionellen Sackpfeife – ging es am nächsten Tag in Richtung Rhodopengebirge. Erster Stopp im Weingut Villa Melnik bei der Familie Zikatanov. Auch hier stammt das Weingut aus der Zeit nach der Wende, mittlerweile werden im Familienbetrieb 32ha bewirtschaftet. Zwei Drittel sind rote Sorte, die Hälfte ist autochthon. Das Gebäude am Sandabhang mit wunderschöner Lage und Aussicht verfügt über mehrere Ebenen und feinste Kellertechnik, der Barriquekeller mit überwiegend Barriques aus bulgarischer Eiche wurde in den Berg gegraben. Das Weingut verfügt über vier Weinlinien und hat bereits einige Prämierungserfolge zu verbuchen. Wir verkosteten vom Inhaber persönlich und freundlich betreut von einfach und fruchtig bis hin zu kräftig und (zu) schwer. Von der Sonne verwöhnt heißt es denn auch im Betriebsprospekt.

Ganz anders aufgestellt präsentierte sich Uva Nestum in Gotze Delchev. Auch hier ein ganz junger Betrieb, allerdings bestehend aus einem größeren Hotel mit Restaurant und ausgeprägtem Spa-Bereich sowie einem angeschlossenen Weingut. Rund 14.000 Flaschen sind der jährliche Output des einzigen Betriebs hier im Mestatal. Sauvignon Blanc und Tamianca zeigten sich wunderbar frisch-fruchtig, auch ein Orange Wine aus Muskat Ottonel und eine rote Cuveé gefielen ausgesprochen gut. Alle Weine in Begleitung feinster internationaler Küche.

Eine Stadtführung durch Plovdiv stand am fünften Tag am Programm. Die zweitgrößte Stadt Bulgariens inmitten der Oberthrakischen Tiefebene gilt als Handels- und Industriezentrum, verfügt aber über die möglicherweise schönste Altstadt Bulgariens. Auch Spuren der Römer sind sichtbar und zum Teil gut erhalten.

An Weingütern lernten wir die Villa Justina kennen, gegründet von einem Hersteller und Händler für Stahltanks. Immer öfter wurde der Schauraum zum Lagern von Weinen verwendet, bis selbst ein Weingut aufgebaut wurde. Heute sind es stattliche 48ha mit vielen und überwiegend internationalen Sorten.

Intensiveren Kontakt aufgrund nicht vorhandener Sprachbarrieren gab es im Familienweingut Zagreus, wo es eine Österreich-Tangente gibt. Der heutige Direktor Dimitar Kostadinov lernte bei seiner Weinbauausbildung in Österreich eine Salzburgerin kennen, die er später heiratete. 120ha Weingärten und etwa 250.000 Flaschen Jahresproduktion lauten die beeindruckenden Eckdaten von heute. Das Sorten-Portfolio ist groß, der Schwerpunkt liegt bei Mavrud. Der Betrieb ist biozertifiziert, was hier Seltenheitswert hat. Besonderheit: eine große Bandbreite bei den Preisen. Die bulgarische Herkunft bei Technik und Material wird hochgehalten. Die Weine überzeugten, darunter auch ein Naturwein. Generell werden die Schwefelwerte markant niedrig gehalten.

Am Samstag unserer achttägigen Reise wendeten wir uns dem Südosten Bulgariens zu, dem Weinbaugebiet Sakar, nahe der türkischen Grenze. Die engagierte Winzerin Tanja Bratanova vom Weingut Bratanov stellte den Betrieb vor: zuerst in der Sakarer Gebietsvinothek anhand zweier sehr kräftiger, typisch südländischer Rotweine, einer internationalen Cuveé mit Rubin und eines reinsortigen Rubins. Es gibt keinen eigenen Keller, sondern man hat sich in einem alten Wirtschaftsgebäude eingemietet. Tanja Bratanov betonte: „Wir sind eben keine neureichen Bulgaren.“ Mittlerweile nennen sie rund 44ha ihr Eigen. Die Weingärten verfügen über natürliche Begrünung, was hier eher ungewöhnlich ist. Das Familienunternehmen hat nach fünfzigjähriger Unterbrechung ab 2006 wieder mit Weinbau begonnen. Sorten: Merlot, Syrah, Cabernet Franc, Cabernet Sauvignon, Chardonnay und Viognier sowie die lokalen Mavrud, Rubin, Gamza und Tamianka.

Auch beim Weingut Kolarovo fehlte das Geld für einen eigenen Keller. Hier musste das ehemalige örtliche Molkereigebäude vor wenigen Jahren herhalten. Die Gärtanks stehen auch hier im Freien, 16ha werden bewirtschaftet. Malbec, Syrah und Petit Verdot überzeugten in der Probe, besonders gefielen aber die Gastfreundschaft und das herzhaft-deftige Essen.

Auch am Sonntag öffneten sich die Türen für unsere Runde: zum einen im Chateau Copsa, einem modernen Betrieb aus dem Jahr 2005 im Rosental. Der Familienbetrieb führt 70ha Weingärten, zwei Drittel mit weißen Sorten, die Reife bzw. Lese erfolgt hier erst relativ spät. Verkostet wurde ein schöner Querschnitt durch das Sortiment, fein gegessen wurde im angeschlossenen Restaurant.

Zum anderen im Weingut Manastira im thrakischen Tal im Süden Bulgariens, umgeben von den Hängen des Sredna Gora, das den Abschluss unserer Reise bildete. Benannt nach dem Kloster, das hier im 15. Jahrhundert von den Osmanen vernichtet wurde, zählt es mit 300ha zu den größeren Betrieben. Dementsprechend gibt es eine große international ausgerichtete Sortenvielfalt. Aus klimatischen Gründen spielen die roten Sorten wie Cabernet Sauvignon und Mavrud ihre Stärken aus. Rund 30% gehen in den Export.

Aus Zeitgründen kamen leider die Weinregion Donauebene im Norden des Landes und die Region am Schwarzmeer zu kurz. Auch dort soll es eine Aufbruchstimmung im Weinbau geben.

Touristische Highlights

Rila Kloster, bedeutendstes und größtes orthodoxes Heiligtum Bulgariens aus dem 10. Jh. und Weltkulturerbe (UNESCO); Stara Zagora: archäologisches Museum zeigt die 8.000-jähirge Geschichte mit authentischer römischer Straße; Tal der Thrakischen Könige in Kanzalak: thrakische Grabmäler mit Fresken aus dem 4. bis 3. Jh. v. Chr.; Rosenöl-Produktion: Bulgarien zählt zu den größten und hochwertigsten Produzenten.

Fazit

Man hat noch immer den Eindruck, dass es einer Rechtfertigung bedarf, wenn man Weine aus Bulgarien anbietet, trotz einer jahrtausendealten Weinbautradition durch die Thraker. Jahrzehntelang hatten Kommunisten das Sagen in Bulgarien – für den Wein keine ruhmreiche Periode, denn bis zur Wende im Jahr 1989 war Menge wichtiger als Qualität – es gab ja auch genug Abnehmer im Ostblock. Auch wenn das Land die kommunistischen Strukturen noch nicht ganz abgeschüttelt hat, stellte sich seit der Wende der Weinbau neu auf. Teilweise wurden verstaatlichte Betriebe wieder privatisiert. Teils war viel Geld im Spiel, teils wurde mit wenig Mitteln neu begonnen. Das Selbstbewusstsein der Weinbranche wächst mittlerweile, viele Betriebe forcieren nun die autochthonen Sorten (Misket, Tamianka, Pamid, Melnik, Rubin, Mavrud etc.). Klimatisch bietet das weite Land alles, was das Winzerherz begehrt, schließlich liegt Bulgarien zwischen den Breitengraden von Florenz und Rom, vielfältiges Terroir über das Land verteilt inklusive. Auf den Punkt gebracht: ein spannendes Land zwischen Orient und Okzident, das dank perfekter Organisation der Reisewelt-Agentur in Form von Franz Schodritz wieder zum besonderen Erlebnis wurde. Und dazu zählen auch die kulinarische Versorgung, die Qualität der ausgewählten Hotels wie auch die familiäre Stimmung unter den Reisenden.