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Frank Roeder MW, Alexander Gottardi und Anne Thysell nahmen zur Sicht des Handels Stellung © Fotos: www.zweischrittweiter.at

Was macht großen Wein aus?

Ein Artikel von red. | 26.04.2017 - 11:29

Zu der vierten Auflage des Weinforums Burgenland am
6. April in Pamhagen brachte Veranstalter KR Helmuth Renner wieder internationale und nationale Experten an das Vortragspult und zu den Diskussionsrunden, die das Thema „Weinbewertungen“ aus den verschiedensten Blickwinkeln beleuchteten.

Die Kriterien der Weinkritiker

Im Einleitungsstatement meinte Moderator Willi Balanjuk, dass bei einer Mehrheit der Weine der Preis und die Marke wichtiger sind als die Qualitäts­tiefe, da sie unter 6 Euro verkauft werden. Darüber hinaus werden Punkte, Medaillen und Bewertungen wichtig. Unumstritten ist, dass Konsumenten eine Art „Haltegriff“ brauchen, um sich in der für den Einzelnen unüberschaubaren Weinwelt orientieren zu können. 
  Am Vormittag erklärten die Weinkritiker, wie sie bzw. sie in ihren Publikationen Weine bewerten. Dabei stellte sich eine bemerkenswerte Übereinstimmung im Kriterienkatalog heraus, bei denen die wichtigsten Punkte so zusammengefasst werden können: 
Vorrangige Beurteilungskriterien sind 

  • Komplexität, 
  • Balance und 
  • Finesse. 

Weitere, bedeutende Beurteilungskriterien sind 
  • Sortencharakter, 
  • Konzentration und 
  • Entwicklungspotenzial. 
Nachrangige Bedeutung: 
  • Herkunft. 
  Die Farbe bzw. Farbintensität wird dabei am unterschiedlichsten stark gewichtet. Der bekannte Schweizer Weinautor René Gabriel meinte: „Beim Verkosten muss man relativ rasch entscheiden - dazu braucht man Erfahrung und Selbstsicherheit. Wein muss man beschreiben, erst dann bewerten.“ Und: „Lagerpotenzial ist wichtig, denn über die Reifung bekommt der Wein mehr Authentizität.“
  Der Brite Giles MacDonogh erklärte die Vorgangsweise bei den „Decanter World Wine Awards“ und zitierte seinen Leiter Steven Spurrier: „Ein herausragender Wein kann nicht weiter verbessert werden!“
  Der Deutsche Stephan Reinhardt ­bewertet für Robert Parkers „The Wine Advocate“ Weine unter anderem in Österreich. Für ihn besitzt ein großer Wein „hedonistische und intellektuelle Qualität, Authentizität, Komplexität und er stimuliert.“ Mit hedonistischer Qualität meint er, dass der Wein gaumenfüllend, dabei komplex, fein, elegant, emotional berührend und intensiv, nicht notwendigerweise aber kraftvoll ist. Die intellektuelle Qualität eines Weines spricht nicht in erster Linie unsere Sinne, sondern den Verstand an. Dazu braucht es Geduld, Interesse und Zeit. Wichtig ist ihm, dass ein großer Wein bekömmlich und stimulierend ist, und dass er vor allem Wohlbefinden auslöst. Die Eckpunkte dafür sind: 
  • animierende reife Säuren, 
  • reife, elegante, gebundene Tannine und 
  • Vitalität, Natürlichkeit, Lebendigkeit und Frische. 
  Er schloss seinen Vortrag mit den Worten: „Ich kann nicht sagen, wie ein 95-Punkte-Wein schmecken soll – ich kann nur sagen, was er mit mir ­gemacht hat.“ 
  In eine ähnliche Kerbe schlugen die Vertreter der österreichischen Medien, Petra Bader von „Gault&Millau“, Alexander Lupersböck von „wein.pur“, Peter Schleimer von „Vinaria“ und Willi Balanjuk von „A La Carte“. Petra Bader möchte „so wenig kellertechnische Optimierung wie möglich, sondern unverfälschte und un­gestylte Weine“. 
  Alexander Lupersböck definierte einen großen Wein so: „Man möchte ihn nicht nur kosten, sondern trinken, allein oder mit Speisenbegleitung, so oft wie möglich“, und forderte von Konsumenten, „hinter die Punkte zu blicken“ und auch die Beschreibungen zu lesen: „Wir wollen nicht dabei mitmachen, dass jede Form der Kommunikation nur mehr plakativ und leicht konsumierbar sein muss, sonst bekommen wir bald nur mehr solche Weine!“ 
  Willi Balanjuk, diesmal in Doppelfunktion tätig, fügte hinzu, dass ein großer Wein eine „individuelle Note besitzt, die Lage, Herkunft und Stil dokumentiert, in jeder Phase Balance und nach entsprechender Reifung Trinkvergnügen haben muss“. 
  Peter Schleimer erinnerte daran, dass „ein großer Wein sich international messen lassen muss und die Maßstäbe überall gelten und anwendbar sein müssen“. 

Punkte in der Gastronomie

Master Sommelier Frank Kämmer aus Deutschland erklärte, dass es eine ziemliche Diskrepanz in der Entscheidungsfindung zwischen Sommeliers und Gästen gibt. Gäste treffen eine hedonistische Entscheidung, Sommeliers eine analytische. Aus Untersuchungen der aktivierten Hirnareale bei solchen Prozessen leitet er ab: „Die Schnittmenge ist extrem klein – das kann zu Konflikten führen, wenn wir uns dem Gast nicht anpassen, denn wichtig ist nicht, was der ­Sommelier für einen großen Wein hält, sondern der Gast. Und die Größe eines Weines wird nicht nur durch seine Qualität definiert, sondern auch durch seine Ver­packung und Auf­machung.“ Die österreichischen Top-Sommeliers Adi Schmid vom Steirereck und Andreas Katona von Amador’s Restaurant meinen übereinstimmend, dass Bewertungen für sie nicht sehr wichtig sind, da sie versuchen, ihre eigene Meinung zu finden, den Mainstream zu verlassen und den Gästen was Neues zu bieten, wobei Katona anmerkt, dass die Gäste in Wien experimentierfreudiger sind, im Westen eher zu den bekannten Klassikern greifen.

Punkte im Handel

Bemerkenswert nonchalant sehen die Vertreter des Weinhandels das Thema „Weinbewertungen“. Anne Thysell von Spar sagt, dass sie Punkte nur in den Mailings verwendet, nicht in den Märkten. Alexander Gottardi vom gleichnamigen Weinhandelshaus in Innsbruck erinnert daran, dass es bis in die 1980er Jahre in Österreich keine Weinkritik gab und man daher selbst definieren musste, was ein Topwein sei. „Das hat sich zwar geändert, aber wir müssen die Weine mit unserer Idee verkaufen.“ Frank Kämmer MW vom VIF-Weinfachhandel Deutschland meinte sogar: „Punkte spielen wenig Rolle, auch wenn sie Weine zu Selbstläufern machen. Wir verkaufen unsere Weine über Kommunikation.“ Anne Thysell schränkte aber ein: „Je unbekannter ein Wein ist – vor allem, wenn er aus dem Ausland kommt –, desto wichtiger sind die ­Bewertungen. Ebenso je teurer die Weine, siehe Bordeaux.“

Aus der Sicht der Produzenten

Diesen Aspekt bestätigt Gerhard Kracher: „Punkte sind wichtig, sie geben den Produzenten Anerkennung und den Konsumenten Bestätigung. Uns haben die Parker-Punkte viele Märkte geöffnet, wo wir vorher völlig unbekannt waren.“ Er gibt auch zu bedenken: „Es gibt Verkoster und Magazine, die einen Weinstil höher bewerten als einen anderen. Vielleicht passt mein Wein nicht zu jedem Magazin.“ Fritz Wieninger und Roland Velich meinen übereinstimmend: „Verkosten und Verkoster sind subjektiv. Es gibt kein Patentrezept, ob ein Solo-Verkoster oder eine Gruppe, eine offene oder verdeckte Verkostung besser sind.“ Wieninger sagt auch: „Ich vermisse bei den Magazinen manchmal den Mut, höher und tiefer zu bewerten.“

Conclusio

Der Vortrag von Caro Maurer MW fasste alle diese Aspekte zusammen: 

  • Skalen sind nur sinnvoll, wenn man den Weinkritiker, der sie anwendet, einschätzen kann. 
  • Für den normalen Konsumenten gelten vor allem Schwellenwerte. Sie können 87/88 oder 91 Punkte kaum einordnen. 
  • Die meisten Weine werden mit 88 bis 89 Punkten bewertet. Kritiker haben eine „Schwellenangst“ vor höheren und tieferen Bewertungen. 
  • Trotzdem gibt es eine Inflation der 90-Punkte-Weine, was dazu führt, dass niemand mehr glaubt, dass auch ein Wein mit weniger Punkten gut sein kann. 
  • Daher sollen die Punkte in einer größeren Bandbreite eingesetzt werden. 
  • Eine Kombination aus Beschreibung und Punkten ergibt den klarsten Eindruck. 
  • Am besten lässt sich Wein noch ­immer durch den Selbstversuch beurteilen. 
Cheers!