National und international anerkannte Experten der Weinbranche trafen sich am 5. April zum Meinungsaustausch über die zukünftige Entwicklung des österreichischen Weinstils. Bevor über das Kernthema diskutiert wurde, kamen die Aspekte Aromasensorik und Schwefel zur Sprache.
Klein in Menge, groß in Wirkung
Zu Beginn wurde von Prof. Erich Leitner von der TU Graz tief in die Materie der Weinaromen geblickt, des Weiteren wurden ihre Vielfalt und ihre Stabilisierung auf Basis der Erkenntnisse der Aromaforschung analysiert. Wein zählt durch seine Aromastoffe zu den komplexesten Produkten im Lebensmittelbereich. Welche Aromen im Wein vorhanden sind, lässt sich mit einer zweidimensionalen Gaschromatographie in zwei Trennungsschritten feststellen. Das Ergebnis ist der individuelle genetische Fingerabdruck. Mehrere hundert Verbindungen können nachgewiesen werden, für die Geschmackserkennung des Menschen sind aber lediglich rund 40 relevant. Bemerkenswert ist, dass Aromen im Wein einen äußerst kleinen Anteil ausmachen, jedoch gleichzeitig der Grund sind, warum der Wein große Attraktivität erlangt.
Braucht der Wein Schwefel?
Den Schwefeleinsatz kritisch hinterfragte Dr. Georg Meißner, Beauftragter für ökologischen Weinbau an der Hochschule Geisenheim. „Bin ich ein guter Bauer? Wie hoch ist mein Pflanzenschutzmitteleinsatz? Wie wird mein eingesetzter Schwefel hergestellt? Über diese Fragen solle sich jeder Winzer Gedanken manchen“, meinte Meißner. Schwefel werde entweder chemisch mittels Schwefelrückgewinnung erzeugt oder aus geologischen Schwefelvorkommen abgebaut. Bei Letzterem, dem sogenannten Vulkanschwefel, werde oft über unmenschliche Arbeitsbedingungen und soziale Missstände in den Herkunftsländern hinweggesehen, betonte Meißner eindrücklich.
Der Einsatz von Schwefel ist aus Sicht des Aromaforschers Leitner unerlässlich. Schwefeldioxid werde als Oxidationsschutz eingesetzt, die Wirkungsweise sei dabei stark vom pH-Wert abhängig. „Das Schwefel-Thema wird unnötig medial aufgegriffen, breitgetreten und falsch interpretiert. Bei manchen Lebensmitteln ist die Konzentration an Schwefel viel höher als im Wein“, so Leitner. Bei nicht einmal einem Prozent der Weltbevölkerung löst Schwefel eine allergische Reaktion aus. Freies SO2 sei ein Breitbandantibiotikum und unverzichtbar, man forsche intensiv an Alternativen, jedoch sei bisher noch kein zufriedenstellendes Ersatzprodukt gefunden worden. Ein Kombi-Einsatz von Schwefeldioxid und Ascorbinsäure sei problematisch, ebenso die Kombination mit Glutathion.
Trotz aktueller Erkenntnisse um die Notwendigkeit von Schwefel, versucht man, im Keller seinen Einsatz zu reduzieren oder teilweise gänzlich darauf zu verzichten. Allen voran dieser Bewegung ist die französische Weinwerdung „Les Vins S.A.I.N.S.“, was so viel wie „gesunder Wein“ bedeutet. Winzer, die dieser Gruppierung angehören, setzen keinen Schwefel ein. Auch „Natural-Wine-Produzenten“ und biodynamische Weingüter kommen in der Regel mit „wenig“ Schwefel aus. Aber auch im biologischen und konventionellen Weinbau finden sich immer mehr Winzer, die den Schwefeleinsatz reduzieren.
Ihren Schwefeleinsatz beim Wein kommentierten einige Winzer, wie etwa der Joiser Markus Altenburger: „Unterschiedliche Böden verlangen nach verschiedenen Mengen an Schwefel. So brauchen Weine von Kalkböden mehr Schwefel wie die von Schieferböden. Weine mit niedrigeren Schwefelwerten haben darüber hinaus eine höhere Vitalität und sind bekömmlicher. Im Gegensatz dazu sind Weine mit hohen SO2-Werten oft verschlossener“. Winzer John Nittnaus aus Gols konnte seit seiner Umstellung auf biodynamischen Weinbau niedrigere pH-Werte im Wein feststellen und dadurch den Schwefeleinsatz reduzieren.
Winzer Hans Pitnauer aus Göttlesbrunn beschrieb den geringen Schwefeleinsatz bzw. den generellen Verzicht auf Schwefel im Wein plakativ mit einem treffenden Vergleich: „Es ist wie eine Fahrt im Tiefschnee, es kann toll sein und Spaß machen, aber man kann auch einen Baum erwischen, dann ist die Fahrt vorbei.“
„Für den Konsumenten wird das Thema rund um Schwefel im Wein immer wichtiger. Man muss die Weintrinker aufklären, diese wissen viel zu wenig über das Thema“, meinte Egon Berger, Veranstalter des „Orange Wine Festival“.
Einig waren sich die Winzer bei der Podiumsdiskussion darin, dass mit einer längeren Hefelagerung eine spätere (und geringere) Schwefelung des Weines möglich und für den Weinstil sowie die Aromabildung prägend ist.
Qualität verspricht Erfolg
Viel Beachtung fanden die Ausführungen von Kulinarik-Legende Heinz Reitbauer sen. mit dem Titel „Die Entwicklung Österreichs zur Gourmet-Nation“. Das schlechte Image nach dem Weinskandal war sogleich die Chance für einen Neustart der Weinbauern. Das zunehmende Qualitätsbewusstsein der Winzer schaffte Vertrauen beim Konsumenten. Diese positive Entwicklung war auch gleichzeitig für die österreichische Gastronomie förderlich.
Reitbauer sieht die Zukunft im Esstourismus. Viele Leute fahren unglaublich weit, um gut zu essen und gut zu trinken. Passende Weinbegleitungen sind eine Chance für junge Sommeliers und junge Winzer, sich zu profilieren. Vielleicht harmoniert nicht immer alles perfekt, jedoch wird über den Wein debattiert. Der Markt erlaube „Natural Wines“, sich in Nischen zu platzieren, nur müssten diese Weine besser werden, so Reitbauer. Um langfristig erfolgreich zu sein, gebe es keine Garantie. Wichtig seien Ehrlichkeit, sich selbst treu zu bleiben und authentisch zu sein. Als ihr Ziel sehen viele Winzer, auf den teuersten und erfolgreichsten Weinkarten der Welt zu stehen.
Österreichischer Weinstil gefragter denn je
In einer Podiumsrunde diskutierten fünf namhafte österreichische Winzer über den sich möglicherweise wandelnden Weinstil in Österreich. Alwin Jurtschitsch war lange Zeit im Ausland und hatte so die Möglichkeit, aus der Vogelperspektive den heimischen Weinmarkt zu beobachten: „Die Winzer vereint das Streben, Herkunft zu transportieren – das Gebiet, woher man kommt und natürlich die Eigenheit und Einzigartigkeit der Einzellage. Die junge Generation hat das Recht, alles in Frage zu stellen.“ „Wir wollen unsere Heimat in die Flasche bringen“, ergänzte Armin Tement sei-
ne Sichtweise. Franz Weninger steht ebenfalls zu alternativen Weinstilen: „Stilistiken werden eigenständiger, die Weine bekommen mehr Profil und es wird Komplexität zugelassen.“
Der Weinautor Stuart Pigott merkte an, dass der fruchtige österreichische Weinstil weiterhin gefragt sei. Für ihn sei Wein kein Naturprodukt, sondern ein Kulturprodukt. Die Bandbreite
des Grünen Veltliners sei maßgeblich für den Erfolg des österreichischen Weines verantwortlich. „Egal, ob das ‚typische Pfefferl‘, der als Lagenwein ausgebaute und auf die Herkunft bezogene Rebensaft oder der traditionelle, im großen Holz mit langer Reife vinifizierte Wein: In Österreich gibt es immer etwas Neues zu entdecken“, so Pigott. Der britische Journalist und Weinkritiker teilt die Weintrinker in zwei Gruppen: Auf der einen Seite befindet sich die Weinszene. Hier beschäftigt man sich viel mit Wein, es wird debattiert und diskutiert. Der Wissensdurst ist groß und das dogmatische Denken oft übertrieben bis lächerlich. Man ist süchtig nach Innovationen. Auf der anderen Seite findet sich das breite Publikum. Dieses möchte nicht viel über Wein reden, der Wein will lieber getrunken werden. Diese Gruppe versteht den Winzer als Marke und hat oft wenig Wissensdurst. Wichtig ist, dass es sich um einen „g’schmackigen“ Wein handelt, der Lust auf Unterhaltung macht.
Fazit
Der Verkauf von frisch-fruchtigen Weinen ist ganz und gar nicht rückläufig. Die Weine sind vielleicht nicht die spannendsten, doch deren Frische und Klarheit sind der Grund für ihre Beliebtheit in der Masse. Weine ohne Holzeinsatz gehören zu den gefragtesten der Welt. Der Höhepunkt der Alternativbewegung („Natural Wines“) dürfte bereits überschritten worden sein, so der Konsens unter den meisten Vortragenden. Vielmehr werde sich diese Entwicklung in den österreichischen Weinstil integrieren. Die positiven Eigenheiten werden in der Weinwelt Beständigkeit zeigen, egal, wie und wo ausgebaut wird.