Leitartikel 08-2020

Das schwierige Jahr 2020

Ein Artikel von CR Prof. DI Josef Glatt, MBA | 06.08.2020 - 12:33

Schon am Beginn gab es dramatische Entwicklungen. Zuerst die riesigen Buschbrände in Australien, die auch den dortigen Weinbau in Mitleidenschaft gezogen haben. Dann die leidige „Trump’sche“ Sondersteuer für bestimmte europäische Weine beim Export in die USA: Strafzölle in der Höhe von 25% für einige europäische Weinländer, in denen der Luftfahrtkonzern Airbus tätig ist. Vielleicht hat bei diesen Handelskriegen eine Rolle gespielt, dass der kalifornische Weinbau massive Traubenüberschüsse zu verzeichnen hat. Nicht zu vergessen sind die bisherigen und vor allem kommenden Auswirkungen des Brexits, also des Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union und damit aus dem Binnenmarkt.

Schon zu Beginn des Jahres zeichneten sich die ersten Vorboten der Corona-Krise in Asien mit der Absage einiger Weinmessen ab, bis dann Ende Februar bzw. Anfang März die Krise, verursacht durch das COVID-19-Virus, auf Europa und auf die ganze Welt hereingebrochen ist und sich in kurzer Zeit zur Pandemie ausgewachsen hat. Zumindest in Europa konnte die erste Infektionswelle mit rigorosen Maßnahmen eingedämmt werden. Derzeit beobachtet man in allen Ländern sehr genau die weitere Entwicklung in Bezug auf den drohenden Ausbruch einer zweiten Welle, jetzt oder im Herbst.

Deutlicher Konsumrückgang in Europa

Die wirtschaftlichen Auswirkungen des fast dreimona-tigen Lockdown sind jedenfalls enorm. Nachwirkungen werden noch über Jahre hin bemerkbar sein. Das gilt für die gesamte europäische Wirtschaft, natürlich auch für die Weinwirtschaft. Mit 183 Mio. Hektolitern Wein hatte Europa ähnlich wie Österreich im Jahr 2018 eine sehr große Weinernte, die die Weinbestände anwachsen ließ. Die Ernte 2019 war mit 157 Mio. Hektoliter eine durchschnittliche Ernte, ebenfalls ähnlich wie in Österreich. Aufgrund des Konsumausfalles während des Lockdown wäre davon auszugehen, dass auch heuer wieder am Ende des Wirtschaftsjahres die Bestände weiter ansteigen. Hochgerechnet auf das ganze Wirtschaftsjahr geht man in Europa von einem Konsumrückgang von 7% im heurigen Jahr aus.

Destillation, Grünlese, Lagerhaltung

Aufgrund von massiven Interventionsmaßnahmen in den Hauptweinbauländern, vor allem in Richtung Destillation, wird sich der Endbestand im heurigen Wirtschaftsjahr (Ende Juli) auf dem Niveau des Vorjahres einpendeln. Wobei eben das Vorjahresniveau aufgrund der großen Weinernte 2018 ohnehin relativ hoch liegt (177 Mio. Hektoliter). Um dieses Vorjahresniveau zu erreichen, werden in Frankreich 1,9 Mio. Hektoliter destilliert, und noch einmal 2 Mio. Hektoliter auf Lager gelegt. In Spanien werden 2 Mio. Hektoliter destilliert, in Italien ebenfalls 1,7 Mio. Hektoliter und im Hinblick auf die heurige Weinernte wird eine größere Menge Weingärten „grün gelesen“, das heißt, der gesamte Ertrag eines Weingartens wird im unreifen Zustand auf den Boden geschnitten. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Außenhandel. Sowohl die Einfuhren in die EU als auch die Ausfuhren aus der EU sind massiv zurückgegangen.

Die Suche nach Traubenabnehmern

Auch in Österreich sollen rund 100.000 Hektoliter Wein destilliert werden. Über Sensale werden Weine des Jahrganges 2018 und älter durch den Genossenschaftsweinkeller in Wolkersdorf gesammelt und bei der Agrana in Pischelsdorf destilliert. Der daraus erzeugte Industriealkohol wird vorzugsweise zu Desinfektionsmittel verarbeitet. Im Hinblick auf die kommende Weinernte ist daher jedem Traubenproduzenten zu empfehlen, sich frühzeitig um Abnehmer seiner Trauben zu kümmern.

CR Prof. DI Josef Glatt, MBA