HISTORISCHE BETRACHTUNG

Gemischter Satz im Wandel der Zeit

Ein Artikel von Ing. Johannes Friedberger | 15.02.2024 - 14:38

Grundsätzlich wurden früher fast alle Weingärten in Österreich gemischt gepflanzt und auch gemeinsam gepresst. Die Reblausinvasion erforderte jedoch eine fast komplette Neubepflanzung der Weingärten, weshalb in dieser Zeit eine verstärkte Sortenumstellung erfolgte. Würde man in der österreichischen Rebsortengeschichte ein Jahr 0 der Zeitrechnung einziehen wollen, wäre es wahrscheinlich das Jahr 1873. 1872 wurde die Reblaus das erste Mal in Klosterneuburg gesichtet, darauffolgend verbreitete sie sich massiv und verursachte große Schäden. 1873 fand die Wiener Weltausstellung statt und die Ampelographische Kommission wurde gegründet, die den Istbestand der Rebsorten erfassen sollte und deren Erfahrungen für die Rebsortenauswahl dienlich sein sollten.

Im 19. Jahrhundert schlitterte der Weinbau in eine Krise: Günstige Importweine, verstärkter Bierkonsum, neue Krankheiten, verschlechterte klimatische Bedingungen, teilweise schlechte Weinqualitäten, Weinfälschungen etc. führten zu wirtschaftlichen Turbulenzen. Laut Ausführungen des deutschen Agrarwissenschaftlers W. Hamm (1865) wurden früher in Niederösterreich bis zu 40 verschieden Rebsorten in einem Weingarten gefunden. Teilweise überwogen alte Massenträger, sodass der Wein meistens leicht und sauer war und nur zu niedrigen Preisen verkauft werden konnte. In Niederösterreich war der Rebsatz jedoch 1886 nicht mehr so gemischt wie in anderen Kronländern, weil man längst mit den alten, sauren mittelalterlichen Sorten gebrochen hatte.

Der Gymnasialprofessor Dr. Haselbach schrieb 1881 zur Weinkultur in Niederösterreich, dass er den Winzern empfehlen würde, nicht nur bessere Reben zu pflanzen, sondern auch aufzuhören, so viele verschieden Rebsorten zu pflanzen. Dies sei die erste Grundbedingung, um einem Wein eine charakteristische Lokal-Eigenschaft zu geben. Er erwähnte Großproduzenten, die diesen Ansatz schon erkannten und damit sehr gute Exporterfolge in neuen Absatzmärkten verzeichneten (Nussberger Wein bis nach Nordamerika und England, Bisamberger nach Paris). Dieser Ansatz war schon damals weitsichtig und greift die heutige Strategie des Österreichischen Herkunftmarketings auf. So schrieb auch Hermann Goethe 1873 (Geschäftsführer der Ampelographischen Kommission): „Gleichwie bei dem Ackerbau richtige Auswahl eines guten Samens oder wertvoller Pflanzen die erste Bedingung eines entsprechenden Erträgnisses ist, so muss sich auch der Weinhauer eine genaue und sorgfältige Auswahl geeigneter Traubensorten bei der Anlage seiner Weingärten zur ersten Pflicht machen.“

Rebsorten als Herkunftscharakteristik

Solche Überlegungen sind sogar schon bei den Römern zu finden. Hervorzuheben sind hier die historischen Arbeiten im 1. Jh. n. Chr. des römischen Gelehrten Columella: „Denn jede Gegend, fast jeder Teil einer Gegend sogar, hat seine eigenen Rebsorten, die man nach örtlicher Gewohnheit benennt; manche Züchtungen haben auch mit dem Ort den Namen gewechselt; manche haben auch infolge des Standortwechsels ihre ursprüngliche Güte verloren, so dass man sie nicht mehr unterscheiden kann.“ Die Aussage Columellas legt die Vermutung nahe, dass bereits durch Züchtung verschiedene Sorten entstanden waren. Gleichermaßen ist jedoch bei der Beschäftigung mit antiken Rebsorten Vorsicht geboten, denn hinter zwei verschiedenen Bezeichnungen kann sich die gleiche „Sorte“ verbergen.

Weiters berichtet Columella: „Trotzdem ist es entscheidend, von welcher Art und Verhaltensweise eine Rebe ist, die man in Gebieten von bestimmter Beschaffenheit anzubauen beabsichtigt. Auch ihre Behandlung ist nicht in jedem Klima und auf jedem Boden dieselbe und es gibt nicht nur eine Art von diesem Gewächs. Welche aber die beste von allen ist, ist schwer zu sagen, weil die Erfahrung lehrt, dass jede Gegend ihre eigene, mehr oder minder ihr angepasste hat.“ Auch hier ist zu erkennen, dass das regionaltypische Wein-Herkunftsprinzip entscheidender ist als die Auswahl der Rebsorte. Dem Thema der Problematik des Anbaus mehrerer „Rebsorten“ und ihrer getrennten  Kultivierung oder willkürlichen Vermischung widmet er ein eigenes Kapitel. Nach Columella wird ein „kluger Landwirt“ diejenige „Rebe, die er am meisten schätzen gelernt hat, anbauen, ohne eine Rebe einer fremden Sorte dazwischen geraten zu lassen“. Als „weitblickend“ bezeichnet er Agrarier, die „doch auch mehrere Sorten“ kultivieren. Dieses Vorgehen begründet er mit der Tatsache der unsicheren Witterung eines Jahres und entsprechend mit einem Verteilen des Produktions- und Ernterisikos auf unterschiedlich reagierende Gewächse. Seine Empfehlung ist, mit maximal vier bis fünf Weinsorten „das Glück der Weinlese zu erproben“. Die nach Sorten angelegten Weingärten sollen durch Wege voneinander getrennt sein. Er empfiehlt weiters bei der Auswahl an Sorten auf ähnlichen Geschmack und Reifetermin zu achten, was die Arbeiten im Weingarten, vor allem der Lese, erleichtert. Neben dem ökonomischen Aspekt gibt er auch die Freude des Menschen an „wohlgeordnet bepflanztem Weinland“ und das „Wohlgefallen“ an der „Freigebigkeit der Natur“ als Triebfeder für dieses Handeln an.

Der Standort entscheidet

Bei der Behandlung des Themas „Edle Weine“ stellt Plinius in seinem Werk der Naturkunde fest: „Wenn ich nicht irre, ist zu erkennen, dass das Herkunftsland und der Boden und nicht die Traube von Einfluss sind und dass es überflüssig wäre, alle Sorten aufzuzählen, da der gleiche Weinstock an einem anderen Standort auch andere Kraft hat.“ Demzufolge bewertet er die Eigenheiten des Bodens und die Herkunft des Rebstocks bedeutender als dessen Namensbezeichnung. Gleichwohl erfahren wir im detailreichen Werk die Namen und Eigenschaften von „Rebsorten“, wobei es „fast ebenso viele ‚Weine‘ wie Anbaugebiete“ gebe.

Es ist schon in den Ausführungen von Columella zu lesen, dass der Gemischte Satz das Produktions- und Ernterisiko vermindern soll. Eine entsprechend neuere Darstellung ist erst wieder im 19 Jh. bei Martin Fries (1859) zu finden: „Da die Unfälle, welche den Weinstock treffen können, sich nicht gleichmäßig über alle Sorten verbreiten, indem die eine Sorte gerade für einen Unfall empfänglich sein kann, der anderen nicht im mindestens schadet, so ist es gewiss gewagt, sich bloß auf eine Sorte stützen zu wollen. Diesem Nachteil zu entgehen, sichert sich der Weingärtner, indem er mehrerlei Sorten anbaut und zwar solche, die zu gleicher Zeit reif werden. Durch die Untermischung von guten Sorten mit weniger guten wird der Wein der Letzteren verbessert. Manche Sorten geben allein keinen guten Wein, wohl aber in der Vermengung. Den schwächeren Sorten helfen kräftigere lagerhafte, selbst etwas raue, den Gewürz- oder Bouquetlosen die Gewürz- und Bouquetreichen auf. Man kann zwar darauf erwidern, dass durch die geringeren Sorten auch der Wein der Guten verschlechtert wird, allein man wähle zur Mengung gerade keine von den geringsten Sorten, sondern von den besseren und solche, welche eine gleiche Reifezeit haben. Die Sorten der Trauben in besondere Beete abgeteilt, wo es tunlich ist, ist zweckmäßiger, als wenn die Stöcke untereinander stehen; denn in Beete abgeteilt kann das passende Verhältnis zu Mischung eher getroffen werden. Man wähle daher bei der Anlage eines Weinberges nur zwei bis drei höchstens vier Sorten, die dem Klima und der Lage entsprechen, die wo möglich zu gleicher Zeit reif werden und damit nicht starkwüchsige Sorten neben schwächeren gebaut werden, sodass die edleren von den minder edleren unterdrückt werden, d. h. einen zu großen Schatten erhalten, ist es sehr zweckmäßig jede dieser Sorten in besondere Abteilungen anzupflanzen.“

Rebsortenpflanzungen im Wiener Raum

In folgenden Aufzählungen wurden Rebsorten im Wiener Raum vor der Reblauskatastrophe genannt. Hier werden mehrheitlich nur die weißen Rebsorten aufgezählt.

Nach Kramer (1743) in Niederösterreich (Weinviertel), im Großraum Wien (Orte wie Grinzing, Döbling, Gumpoldskirchen, Klosterneuburg/Korneuburg), in Cis- und Transdanubien; älteste systematische Aufzählung nach dem Aussehen in Österreich (in Anlehnung an Bauhin): Roter Muscateller (Roter Veltliner), Fränckl (grüne, kleine Beere; Traminer, Burgunder?), Leichler (lockerbeerig, dünnhäutig?, Lagler?), Weißer Muscateller (grüne oder weiße Beeren; Grüner Veltliner, St. Georgen Rebe?), Augster, Ascher (?), Welsche (Gutedel, Petersiliengutedel), Geisdutten, Seeweinbeer, Grobe (Heunisch), Weißklemer (wie mit Mehl bestreut, in Österreich unbekannt), Weiße (Österreichisch Weiß), Mehlweiße, Silberweiße, Cervanl (Zierfandler, grün, rot, blau/schwarz, Fleischtrauben), Riesling, Schmeckende (Echter Muskateller), Weinbeerl (Korinthen, kernlose aus Gärten). Es gibt auch Wildreben mit süßen kleinen Beeren in den Donauauen(-inseln), die der Schwarzen/Blauen Cervanl (Zierfandler) sehr ähnlich und nicht bitter sind. Bedeutend für den österreichischen Wein sind der Rote Zierfandler, der Rote Veltliner, Österreichisch Weiß, Heunisch und Gutedel.

Nach Schams (1835) Rebsorten am Nussberg/Bisamberg: 2/3 Österreichisch Weiß, weiters Grüner Veltliner, Riesling, Rotgipfler, Heunisch, Silberweiße, Zierfandler, Roter Veltliner; weiters Neulinge wie Furmint und Lagler vom Neusiedlersee, versuchsweise auch Traminer. Südliches Wien: Österreichisch Weiß wird weniger, Rotgipfler, Riesling, Grüner Veltliner, Zierfandler, Heunisch, auch Furmint, Mehl- und Silberweiße.

Weiters kommen nach Helbling (1777) zu diesen Sorten noch dazu: Frühroter Veltliner, Geisdutten, Augster, Lagler, St. Georgen Rebe (= Weißer Muskateller?), Grüner Silvaner, Roter Portugieser (= Krämmler), Elbling (= Braune?), Gelber Muskateller.

Schams schlägt zur Erneuerung der Weingärten am Nussberg vor: 1/3 Österreichisch Weiß, 1/3 Traminer, 1/3 Weißburgunder, Riesling, Honigtraube und Augster. „Diese Mischung müsste ein Getränk ergeben, welches nicht nur von vorzüglichem Geschmacke sei, sondern auch in vier bis fünf Jahren vollkommene Reife erreichen würde. Der Traminer, die Honigtraube und Augster reifen früh, die Weiße und der Riesling später. Daher würden die erstern drei, besonders in guten Jahren, dem Wein Milde und Lieblichkeit, der Riesling und die Weiße Gewürzgeschmack und Dauerhaftigkeit geben.“ Schams war sich sehr wohl bewusst, dass eine gravierende Änderung der Rebsorten auch das Geschmacksbild des Weines ändern kann, daher mahnte er bei der Umstellung zu Vorsicht und Bedacht.

Nach Hohenbruck (1873) in Niederösterreich um Wien: Grüner Veltliner, Roter Veltliner, Frühroter Veltliner, Gelber Muskateller, Grüner Silvaner, Roter Zierfandler, Rotgipfler, Heunisch, Mosler, Welschriesling, Seestock (Silberweiß), Ruländer, Österreichisch Weiß, Roter Traminer, Riesling; neben den Gutedel-Arten, die vor allem für Tafeltrauben angebaut wurden. Um Klosterneuburg, Nussdorf (Nussberger), Grinzing: langsam verringernder Hauptsatz ist Österreichisch Weiß, zunehmend Riesling und etwas Traminer und andere Sorten.

Angebot einer ungarischen Rebschule für den Raum Wien (1873): Riesling, Weißburgunder, Traminer, Welschriesling, Zierfandler, Österreichisch Weiß, Furmint (Mosler), Frühroter Veltliner, Honigler, Rot-Weißer Veltliner, Roter Veltliner, Grüner Veltliner, Rotgipfler und Gutedel.

Erwähnung eines Weingartens am Nussberg, angelegt ca. 1865: Österreichisch Weiß, Riesling, Traminer, Silvaner, Grüner Veltliner, Roter Veltliner und Roter Zierfandler.

Allgemein kann gesagt werden, dass der Geschmack vom Gelben Muskateller zu dieser Zeit nicht gewünscht war, er wurde sogar als schädlich bezeichnet. Neuburger war noch nicht etabliert. Müller-Thurgau wurde erst 1882 gezüchtet.

Die stark vom Heunisch geprägten Sorten verschwanden langsam im 19. Jh. Frühreifere und robustere Sorten, vermehrt jene mit mehr Traminer-Genetik/Prägung, und Burgunder-Sorten, konnten sich etablieren. Die damaligen Klimaverhältnisse waren für spätreifende und empfindlichere Sorten nicht so gut geeignet. Sorten aus dem Balkan-Gebiet und Westungarn verschwanden, auch die Großelternsorte von Blaufränkisch und Blauer Portugieser – der Gänsfüsser – sowie die Elternsorte Schlehenschwarze bzw. Blauer Römer oder die Königstraube/Roter Portugieser.

Auswirkungen des Klimawandels

Zum Schluss noch ein Ansatz des deutschen Agrarwissenschaftlers und Winzers Prof. Rainer Zierock aus dem Jahr 1995 (Das Pentagon; Kreator des italienischen Kultweines Granato): „Ein nördliches Weinbaugebiet unterliegt starken Klimaschwankungen und somit ist bei Verwendung nur einer Rebsorte über Jahre eine Weinvielfalt möglicherweise gegeben. Sie kann befriedigende Resultate über Generationen geben. Ein Naturprodukt verändert sich mit der Natur. Je komplexer aber die Genetik eines Weinbergs, desto höher die Chance einer unverwechselbaren Qualität. Südliche Weinberge können über die Genvielfalt im Weinberg eine hohe Variabilität bei der Weinqualität besitzen. Durch die Klimaveränderung werden wir eine ‚Genwanderung‘ bei den Rebsorten erfahren. Setzen wir neue oder alte Rebsorten in unsere Weinberge, sollten Klima, Veränderung und Qualitätsbereicherung berücksichtigt werden. Wollen wir reiche und komplexe Weine genießen, benötigen wir oft verschiedene Rebsorten in der gleichen Weinbergslage, um ein genetisches Hochgewächs keltern zu können. Grundkriterium ist die Kombination verschiedener Charaktere, welche im Wein erwünscht werden. Für Säure, Skelett, Aromastoffe im Bouquet, Finessen in der Nase, Wucht und Körper sind ganz bestimmte Rebsorten in Interaktion mit Boden und Klima verantwortlich.“

Zusammenfassung

Überlegungen, ob für eine Appellation die Rebsortenzusammensetzung oder die eigentliche Herkunft von größerer Bedeutung ist, gab es schon immer. Der Rebsortenspiegel hat sich auch durch klimatische Änderungen in den verschiedenen Zeitepochen immer wieder geändert. Es scheint, dass unter klimatisch wärmer werdenden Bedingungen jene Gebiete mit einer größeren Rebsortenvielfalt und offeneren Rebsortenzulassung besser gerüstet sind. Um ein klareres Profil und Wiedererkennung zu gewährleisten, sollten Gemischte Sätze eines Weingartens aber auch nicht überbordend viele Sorten beinhalten. Hier wurden z.B. bei den Römern als Richtwert max. fünf Sorten angegeben. Demzufolge sind die drei Sorten als Mindestvorgabe für den Wiener Gemischten Satz DAC eine gute Wahl gewesen. Bei sehr großen Sortengemischen wie an der Weinbauschule Klosterneuburg wurden und werden diese in der Regel in drei Reifestadien aufgeteilt, getrennt gelesen und bei Bedarf wieder verschnitten, wodurch auch mehr Sorten (deutlich über hundert) im Gemisch zu finden sind. Dieser vielschichtige Wein hat sich über die Jahre als sehr beständig in der Qualität bewiesen.

Nördlichere Gebiete können mithilfe ihrer Lagendiversifizierung mehr Vielfalt in ihre Weine bringen. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass eine gewisse Flexibilität bei der Sortenempfehlung und -zulassung von Vorteil war. Selbst in französischen Appellationen gibt es nun Bewegung: Mittels einer 10-%-Regel wurde die Möglichkeit der Austestung bzw. Zumischung von neuen bzw. anderen Sorten geschaffen, wie z.B. Voltis in der Champagne. Auch bei anderen Appellationen gibt es solche Überlegungen, um „auf die Zukunftsherausforderungen der französischen Landwirtschaft zu reagieren“. Hier sei nochmals angemerkt, auch der Grüne Veltliner war zu Beginn des 19. Jh. einmal verboten. Kaum vorstellbar, was passiert wäre, wenn dieses Verbot nicht aufgehoben worden wäre. Der Wiener Gemischte Satz hat jedenfalls Saison. Seine Variabilität und Vielfalt bescheinigen ihm eine aussichtsreiche Zukunft.

Literaturliste beim Autor erhältlich

Der Autor

Ing. Johannes Friedberger, Fachlehrer HBLA und BA für Wein- und Obstbau Klosterneuburg sowie Winzer in Bisamberg
E-Mail: johannes.friedberger@weinobst.at