9. LESER-WEINREISE

Von der südlichen Rhône zur Côte d’Azur

Ein Artikel von DI Walter Kaltzin | 02.09.2022 - 08:55

Rund zwei Dutzend Gäste – fast alle regelmäßige Gäste der WINZER-Leserreisen – traten im Juni die Reise in den Süden Frankreichs an. Das vorsommerliche Flugchaos sorgte zwar kurzfristig für Änderungen im Programm, doch das sollte kein Nachteil sein. Statt des Anfluges nach Lyon ging es nach Genf, womit wir mehr oder weniger den Weg der Rhône folgten (per Bus). Der dank vieler Zuflüsse wasserreichste Fluss Frankreichs entspringt dem Kanton Wallis, fließt in den Genfersee, um dann den Weg Richtung Lyon zu nehmen und weiter gegen Süden zu verlaufen. Die Rhône (und ihre Zuflüsse) versorgt über diverse Kanäle nicht nur die Landwirtschaft mit Wasser, sondern dient auch als Kühlwasser für diverse Atomkraftwerke. So es ausreichend Wasser dafür gibt!

Das Rhônetal mit seinem Hinterland gilt als sehr fruchtbar. Obst, Früchte, Nüsse und Kräuter fußen im Gebiet. Im Süden wird das Rhône-Tal breiter und die Landschaft mediterraner. Im Unterschied zu den anderen Spitzenanbaugebieten Frankreichs, die zumeist von ganz wenigen Rebsorten dominiert werden, zeigt das Rhône-Tal eine breite Palette. Das Gebiet zeigt sich uneinheitlich: Im Norden finden sich vor allem Rotweingebiete, im Süden Weißweine und Rosés, vereinfacht gesagt.

Dem Wein und der Kultur auf der Spur

Erste weinbauliche Station der Reise war das kleine Gebiet Gigondas (1.300ha) im Hinterland der Rhône, am Fuße eines markanten Felsengebirges. Ein kantiger Kamm prägt die Landschaft. Zwar herrscht hier ein mediterranes Klima, aber im Sommer gibt es sehr ausgeprägte Hitze. Der kühle Wind des Mistrals sorgt zwar für etwas Kühlung, körperreiche Weine in der Farbe Rot werden es aber immer. Höhere Lagen (500m) sind im Vorteil. Der Begriff „feurig“ passt wohl am besten, ein Hauch ätherischer Noten schwingt immer mit. Grenache ist die Nummer eins, Syrah und Mourvèdre folgen.

Wir besuchten die Domaine de Longue Toque, (kleiner) Teil des großes Betriebes von Gabriel Meffre, der an mehreren Standorten produziert. Die fünf Appellationen neben ­Gigondas: Vacqueyras, Cairanne, Rasteau, Côtes du Rhône Villages Plan de Dieu und Côtes du Rhône. Der Sommelier des Hauses berichtete von großer Trockenheit. Seit Novem­ber fehle es an nennenswerten Niederschlägen, die Erträge seien generell niedrig: 2.000 bis 3.000 l/ha. Lange Zeit stand das Gebiet Gigondas (AOC-Status) im Schatten von Châteauneuf-du-Pape, heute steht es für verlässlich gute Qualitäten, die eher leistbar sind: bei Longue Toque zwischen 10 und 60Euro.

Die Nächtigung in L‘Isle-sur-la-Sorgue sollte nicht unerwähnt bleiben. Das kleine Städtchen hat seinen Namen nach dem Fluss Sorgue, der sich in fünf Arme teilt und verschiedene Kanäle und (historische) Wasserräder speist. Wegen dieser Flussläufe nennt man den Ort „Venedig des Nordens“. Schöne Nachtstimmung!

Den zweiten Tag widmeten wir uns dem Gebiet Ardèche, benannt nach dem Nebenfluss der Rhône. Das Gebiet gilt als beliebtes Ausflugsziel der Deutschen und Holländer. Uns begeisterte das tief eingeschnittene Tal, wo wir einen Aussichtspunkt bei der Grotte de la Madeleine ansteuerten. Ein Vergleich mit dem Grand Canyon kommt einem zumindest in den Sinn.

Das Gebiet verfügt über 12.000ha Rebflächen (Côtes du Rhône Villages). Am Programm stand der Besuch des Familien-Weingutes Domaine de la Croix Blanche in St. Martin d‘Ardèche, ein Biobetrieb mit rund 30ha. Die Weine waren erschwinglich und eher einfach gehalten. Umso beeindruckender war die nette Bewirtung mit zahlreichen lokalen Schmankerln. Große Probleme gebe es auch hier mit dem Personal (Mangel), deswegen muss auch auf Maschinenlese gesetzt werden. Aufgrund der geringen Niederschläge stellt die Bioproduktion keine großen Herausforderungen dar. Keine Berührungspunkte gibt es mit Bag-In-Box-Verpackungen, sie werden am Betrieb, der stark vom Tourismus lebt (Camper), gut nachgefragt.

Nächste (berühmte) Station unserer Reise: Ganz im Gegensatz zu seiner Bekannt- bzw. Berühmtheit verfügt das Gebiet Châteauneuf-du-Pape lediglich über 3.300ha Reben und das verteilt auf rund 320 Besitzer. Über den kleinen namensgebenden Ort gibt es nicht viel zu sagen, außer dass er aus strategischen Gründen umbenannt wurde. Aus markentechnischer Sicht heute ein gelungener Schachzug.

Unsere Reise führte in die Domaine Mousset, die zu den fünf Caves des Châteaus des Fines Roches gehört. Beeindruckend die extrem großen Kieselsteine rund um das wehrhaft anmutende Château (siehe Titelfoto). Weißwein spielt nur eine Nebenrolle, bedeutend erneut der Grenache sowie Syrah und Mourvèdre, aber auch – wie hier typisch – weitere Sorten. Rosé ist verboten, wohl als deutliche Abgrenzung zur Provence. Geografisch gesehen liegt man eigentlich in dieser. Die verkosteten Weine: elegant und kräftig, jenseits der 20-Euro-Marke.

Der dritte Tag war dem Gebiet Camargue gewidmet, dem flachen Rhône-Delta. Großteils als Naturschutzgebiet anerkannt, gibt es hier großes Weideland, Sümpfe und landwirtschaftliche Nutzung. Im Bereich der Tierwelt bekamen wir die weißen Pferde, Flamingos und spezielle Stiere zu Gesicht. Neben etwas Gemüseanbau fielen der Reisanbau und in Meeresnähe die Meeres-Salinen auf. Unweit dieser, nahe der Stadt Aigues-Mortes, keltert die Domaine Royal de ­Jarras sogenannte Sandweine. Die Besitztümer erstrecken sich über eine Fläche von knapp 800ha, davon stellt fast die Hälfte unberührte Landflächen dar. Die Weingärten des Betriebs liegen auf einer geschichtsträchtigen Insel konzentriert beieinander, flach und auf Sand pur. Bei der Vermarktung setzt man überwiegend auf Rosés und am Etikett auf die pinkfarbenen Flamingos. Preisbereich der klarfruchtigen Weine mit weicher Säure: plus/minus 10 Euro.

Zum Tagesausklang ging es nach Avignon. Die Stadt an der Rhône markiert die historisch wichtige Grenze zwischen der Provence und dem Languedoc im Westen. Der wehrhaft anmutende Papstpalast stammt aus der Zeit Anfang des 14. Jahrhunderts, als ein Franzose zum Papst gewählt wurde. Eine große mittelalterliche Mauer umgibt ihn.

Am Tag vier der Reise standen die römische Stadt Nîmes und ihre historische Wasserversorgung (Pont du Gard) am Programm, dazwischen das Château de Campuget. Nîmes geht auf eine Gründung römischer Veteranen des Ägypten-Feldzuges zurück. Ein 2.000 Jahre alter Tempel und ein prachtvolles Amphitheater (90–100 n. Chr.) mit einem Fassungsvermögen von über 20.000 Zuschauern sind bestens erhalten. Das Amphitheater dient heute noch als Schauplatz von Stierkämpfen und Konzerten. Zur Wasserversorgung der Stadt wurde von den Römern der rund 50km lange Wasserkanal Pont du Gard angelegt. Über den Fluss Gardon führt seine Brücke in 48 Meter Höhe. Eine beeindruckende planerische und bauliche Meisterleistung aus riesigen Granitblöcken.

Zurück zum Wein: Etwas südlich der Stadt in der Lage Costières de Nîmes (gehört schon zu Languedoc) verkosteten wir einen Querschnitt beim Château de Campuget. Syrah und Grenache sind die Sorten für Rot und Rosé, Grenache Blanc und Rousanne für die Weißweine. Der spannende, etwas abgelegene Betrieb mit einem Château verfügt über 340 ha. Nicht ganz die Hälfte davon ist mit Wein bestockt, den Rest nehmen diverse Früchte und Oliven ein. Aufgefallen: eine gewisse Frische der Weißweine und modern gemachte Rotweine, Syrah und Saperavi (!) sogar in einer Variante ohne Schwefelzusatz. Überraschend fruchtig. Das dem Weingut angeschlossene Bistro muss hervorgehoben werden – eine Empfehlung! Weinpreise: 9 bis 24 Euro.

Von Nîmes ging es zur nächsten römischen Stadt: Aix-en-Provence. Eine bezaubernde Universitätsstadt mit vielen Studenten – Inbegriff des südfranzösischen Lebensgefühls und Heimat des Malers Paul Cézanne. Unweit der Stadt befindet sich das Château Henri Bonnaud. Vom Weingut aus eröffnet sich ein schöner Blick auf den großen Kalksteingipfel Sainte-Victoire. Der Familienbetrieb verfügt über rund 30ha, seit 2010 wird er biologisch bewirtschaftet. Der Großteil der Reben ist als „AOC Palette“ klassifiziert, die Rosé-Weine sind wie üblich in der Provence ein wichtiger Faktor. Top-Wein des Hauses ist aber die „Quintessence“. Die Flasche in Rot kostet 31 Euro, dafür gibt es dann kräftige 15 Volumsprozent von alten Reben.

Übernachten durften wir stimmungsvoll im charmanten Hotel Domaine Gaogaia etwas außerhalb von Aix-en-Provence, einer typisch provenzalischen Bastide aus dem 18. Jahrhundert. Das angeschlossene Restaurant zeigte französische Küche vom Feinsten.

Am sechsten Tag ging es erstmals zum Meer, zum Fischerdorf Cassis. Das Gebiet ist durch den Kalkstein geprägt, am Meer zeigt sich das durch tief eingeschnittene Steilküsten, die von Pinienbäumen gerahmt sind. Die malerischen Buchten konnten wir trotz stärkerem Wellengang (Mis­tral!) mit dem Boot gerade noch erkunden. Wer das Hinterland, den Nationalpark Calanques, zu Fuß besichtigen wollte, hatte Pech: aufgrund der extremen Trockenheit gesperrt.

Der Nachmittag war dem kleinen Weinbaugebiet Bandol gewidmet (1.300ha), bekannt für seine kräftigen Rotweine auf Mourvèdre-Basis. „Vom Rosé leben wir, den Rotwein leisten wir uns, weil wir daran glauben“, soll es im Bandol heißen. Es ist heiß und trocken hier. Vor dem kalten Mistral schützen die Berge im Norden, am Morgen kommen Winde vom Meer. Die Erträge liegen bei rund 35hl/ha.

Eine kleine Verkostung nahmen wir im charmanten Familienbetrieb Domaine de l‘Olivette vor. Das Weingut gehört mit seinen 55ha zu den Pionieren der Appellation Bandol, die 1941 gegründet würde. Der ursprünglich landwirtschaftliche Mischbetrieb konzentrierte sich nach und nach auf den Wein. Seit 2014 ist das Weingut HVE-zertifiziert (High Environmental Value). Das von der Regierung ins Leben gerufene Zertifikat zielt darauf ab, eine vernünftige und nachhaltige Landwirtschaft zu fördern. Weiß-, Rosé- und Rotweine finden sich im Preisbereich von knapp unter 20 bis rund 40 Euro. Aus der Cool-Climate-Sicht eines Öster­reichers beeindruckten die roten Weine etwas mehr. Wenn die Aussagen des Winzers richtig übersetzt wurden, wird heftig über Bewässerung diskutiert (derzeit verboten).

Die letzten eineinhalb Tage sollten ganz der berühmten Côte d’Azur, der französischen Mittelmeerküste, gewidmet sein. Von den mondänen Badeorten nahmen wir St. Tropez unter die Lupe. Einst ein Fischerdorf, eroberten Maler und Künstler, später der Jetset den Küstenabschnitt der zauberhaften Stadt. Der Yachthafen gehört zum Pflichtprogramm.

Unweit der Stadt, im Herzen der Halbinsel von Saint-Tropez, befindet sich die Domaine de la Croix, ein schickes, eher junges Weingut, eingebettet in den eigenen Weingärten nahe des kleinen Weinortes La Croix-Valmer. Kräftige Investitionen in Architektur, Kellertechnik und Personal (inkl. Weinberater Michel Rolland) hatten Erfolg: Das Weingut erlangte schnell einen guten Ruf und erhielt die Auszeichnung „Côtes de Provence Cru Classé“ , eine historische Anerkennung. Aktuell werden rund 100ha bewirtschaftet. Dank Gala-Abenden, Hochzeiten und Seminaren ist auch der Önotourismus ein Erwerbszweig. Der seit Jahren anhaltende Rosé-Boom (Grenache, Syrah, Mourvèdre) schlägt sich im Verkauf mit etwa 85% Anteil nieder. Die Flaschenpreise liegen preislich jenseits von 10 Euro. Im modernen Keller werden die Trauben kräftig auf 8 bis 10°C runtergekühlt, was den Weinen eine gewisse Frische verleiht. Maschinenlese ist kein Tabu. Die Ernte beginnt in der zweite Augusthälfte, Mitte September ist sie in der Regel schon wieder vorbei.

Den Abschluss der Reise verbrachten wir in Nizza. In aller Kürze: Die pulsierende Metropole ist eine eigene Städtereise wert. Das stimmungsvolle Abendessen im Hafen krönte den Abschluss.

Kleines Resümee

Alle besuchten Betriebe stöhnten bereits Anfang Juni unter den trockenen Witterungsbedingungen der ersten Jahreshälfte. Aber die große Hitze sollte erst nach unserer Abreise auftreten und verschärfte die Lage weiter: Waldbrände, abgeschaltete Atomkraftwerke und weiter keine Unkräuter in den Weingärten zu finden. Das mag zwar das Arbeitspensum reduzieren, doch die qualitativen Folgen wegen der ausbleibenden Niederschläge sind absehbar. Zum Reisezeitpunkt wirkten die Reben auf jeden Fall noch vital und überwiegend im satten Grün. Ähnlich wie in Österreich hat auch hier der Personalmangel hohe Brisanz und betrifft den Weinbau wie auch die Gastronomie gleichermaßen. Apropos Gastronomie: Bei relativ geringen Aufschlägen fiel es leicht, auch abends die eine oder andere Flasche Wein zu ordern.

Vielleicht auch das ein Beitrag zu den zufriedenen Gesichtern am Ende der Reise, schließlich tauchten wir in eine verführerische Welt voller neuer Düfte und Geschmäcke ein. Bei idealen Reisetemperaturen durften wir den Südosten Frankreichs samt Kultur, Wein und Kulinarik erleben. Die Römer hinterließen hier beeindruckende Spuren, das Mittelalter auch. Im Verein mit dem südländischen Lebensgefühl ein schönes Erlebnis, das von der Reisewelt perfekt organisiert wurde. Manch Teilnehmer wird sicher die eine oder andere Anregung im Gepäck mitgenommen haben. Côte du Rhône und Provence bleiben positiv in Erinnerung. Letztere für ihre unendlich vielen Rosé-Weine, bevorzugt im hellrosa Kleid. Je heller, desto beliebter, sagen die Marktzahlen. Und die kennen nur einen Trend. Nach oben.