Weinkosten als Belastung für die Zähne

Der Zahn der Zeit?

Ein Artikel von HR DI Robert Steidl | 06.12.2021 - 09:24
Der-Zahn-der-Zeit2.jpg

Die Säure im Wein setzt dem Zahnschmelz zu – bei größeren Verkostungen jenseits von 50 Weinen durchaus im relevanten Ausmaß © W. Kaltzin

So erfreulich das Verkosten und Bewerten von Weinen auch (meist) ist: Die gewissenhafte Beschäftigung mit der Probe erfordert nicht nur Konzentration und auch Erfahrung, sie bedeutet zugleich eine Belastung und Ermüdung der Geschmackspapillen, und letztendlich auch der Zähne. Was man als Juror tun kann, um die Zähne bei Verkostungen möglichst zu schonen, wurde vom Australischen Weinforschungsinstitut AWRI zusammen mit der Zahnfakultät der Universität in Adelaide publiziert. 

Woraus bestehen unsere Zähne?

Ganz außen ist der Zahnschmelz, leblos, vollständig aus Calciumphosphat, härter als unsere Knochen. Darunter liegt Dentin, aus Kollagen und Calciumphosphat, das gibt  Struktur und Zahnaufbau. Darunter befindet sich die Pulpa – das lebende Gewebe mit Nerven und Blutgefäßen – und leider auch dem Schmerzempfinden.

Zahnerosion und Empfindlichkeit

Alle Zähne unterliegen im Lauf der Zeit altersbedingt einer gewissen Abnützung, sie wirken dann kürzer und abgenützt. Dies passiert, wenn der Zahnschmelz oberflächlich aufgelöst wird. Die Säuren des Weines, aber ebenso die Säuren in Softdrinks, Sportgetränken und Fruchtsäften können Calcium und Phosphat aus dem Zahnschmelz herauslösen, was zur Entmineralisierung und Erosion führt. Dauernde Erosion kann zur Freilegung des Dentins führen, was zu deutlich gesteigerter Temperaturempfindlichkeit und stärkerem Druckempfinden beim Zähneputzen führt.

Davon unterschieden werden müssen die „Löcher“ in den Zähnen, verursacht durch den bakteriellen Biofilm (Plaque), der durch Essensrückstände (Zucker!) auf den Zähnen entsteht. Milchsäurebakterien leben davon und produzieren dabei Säure, die den Zahnschmelz auflöst – mit den bekannten Folgen (Löchern).

Der heilsame Speichel

Der Speichel verdünnt bzw. neutralisiert die Säuren im Mund und kann den pH über den kritischen Wert von 5,5 heben, unterhalb dessen die Demineralisierung der Zähne beginnt. Ebenso formt der Speichel einen Film über den Zahnschmelz, der – einigermaßen – vor den Säuren schützt. Rotwein reduziert die Speichelproduktion und führt damit zu einer geringeren Schutzfunktion für die Zähne sowie zur Austrocknung der Mundhöhle.

Sind Weinkoster nun besonders gefährdet?

Eine Zahnschädigung hängt von der Anzahl und Häufigkeit von Verkostungen ab. Von der Zahnfakultät in Adelaide werden mehr als 50 Weine pro Woche als hohes Risiko angesehen. Ebenso belegen Studien, dass 50 % der Weinkoster nach fünf bis zehn Jahren eine erhöhte Zahnempfindlichkeit aufweisen. Auch hat sich bei den untersuchten Personen die Menge und Qualität des Speichels verändert. Eine Verringerung der Speichelproduktion wird auch durch manche Medikamente (gegen Asthma, Depression, Bluthochdruck) bewirkt. Ein höheres Risiko für Zahnerosion entsteht übrigens auch durch nächtliches Zähneknirschen, Diabetes und Reflux. 

Der-Zahn-der-Zeit1.jpg

© Gerd Altmann, Pixabay

Wie der Zahnerosion und Überempfindlichkeit vorbeugen?

Die Universität Adelaide empfiehlt folgende Vorgehensweise:

Am Abend vor der Verkostung:

  • Zähneputzen mit Fluoridzahncreme.
  • Behandeln mit Zahngel – nur schwach ausspülen und 1 Stunde nichts trinken.

Am Morgen der Verkostung:

  • Kein Zähneputzen. Dadurch verbleibt das natürliche Plaque als Schutzfilm auf den Zähnen.
  • Zahngel aufbringen, ausspucken und nicht spülen.

Während der Verkostung:

  • Nur stilles Wasser zum Mundspülen verwenden. Prickelndes Wasser hat sauren pH.
  • Käse oder Milch reichert die Zähne mit Calcium und Phosphat an. Wiewohl wir als Koster natürlich wissen, dass ein Fettbelag die Kostwahrnehmung verringert.
  • Cracker stimulieren die Speichelproduktion. Vermeiden sollte man Oliven, Gurkerln und andere säurehältige Lebensmittel.

Nach der Verkostung:

  • Zwei Stunden kein Zähneputzen, auch wenn (uncharmante) Rotweinspuren noch sichtbar sind. Der Zahnschmelz ist jetzt weich und noch im Stadium der Demineralisierung. Bürsten kann jetzt den Zahnschmelz schädigen.
  • Zwei Minuten Mundspülung mit fluoridhältiger Lösung. Säurehältige Mundwässer unbedingt vermeiden! Auch wenn die Spülung als Zahnputzersatz gemacht wird, schadet jetzt die Säure mehr als sie nützt.
  • Zuckerfreier Kaugummi stimuliert die Speichelproduktion und damit die Neutralisation der Mundhöhle.

Zahnstein und Zahnfleischschwund

Tannine können mit Calcium und Eiweiß Komplexe bilden, die sich an der Zahnoberfläche festsetzen. Verfärbungen können durch Zähneputzen entfernt werden, das Bürsten sollte aber unbedingt vermieden werden, solange der Zahnschmelz noch weich ist. Spezielle bleichende Zahnpasten können die Zahnempfindlichkeit sogar erhöhen. 

Dauerndes sehr intensives Zähneputzen zur Zahnsteinentfernung kann zu Zahnfleischschwund führen. Dadurch können die empfindlichen Zahnhälse einerseits empfindlicher auf Temperaturunterschiede reagieren, andererseits besteht mehr Risiko für bakterielle Entzündungen.

Fazit

Zur langfristigen Strategie zur Erhaltung der Zahngesundheit zählt einerseits die jährliche Kontrolle durch den Zahnarzt und andererseits der Einsatz von fluoridhältigen Mitteln, die sich mit dem Calciumphosphat des Zahnschmelzes verbinden können und diesen härten. 

Maximal 50 Weine pro Woche aus zahnärztlicher Sicht: Da kann man als Juror nur lächeln, da wäre man am ersten Vormittag schon fertig. Allerdings kann man doch mit kleinen Maßnahmen vor und nach den Verkostungen dazu beitragen, sein „strahlendes Lächeln“ möglichst lange zu erhalten.  

Der Autor

HR DI Robert Steidl, ehemaliger Institutsleiter Weinbau, Abt. Kellerwirtschaft, HBLA u. BA Klosterneuburg, Tel. 0664/454 42 57, E-Mail: robert.steidl@chello.at, www.steidl-weinberatung.at