Das Universitätsgebäude der Bodenkultur in Tulln bot sich für die Durchführung der Veranstaltung an: Digitalisierung ist ein junges Thema, das beim jüngeren Publikum Anklang findet sowie auch in der Ausbildung (etwa im Önologie-Studium der Universiät für Bodenkultur) gelebter Standard ist. Darauf verwies die Hausherrin und Vizerektorin der BOKU Barbara Hinterstoisser in ihren Eröffnungsworten.
„In gewissen Bereichen gilt der Weinbau als Vorreiter in Sachen Digitalisierung“, ergänzte Weinbaupräsident Johannes Schmuckenschlager in Bezug auf die digitale Erntemeldung. Es gelte darüber hinaus, die Weinwirtschaft zukunftsfit zu machen und „Anregungen durch profunde Fachexperten aus dem In- und Ausland“ aufzugreifen.
Die Digitalisierung hat mittlerweile viele Bereiche der Weinbaubranche erfasst, dementsprechend wurde der Vortragsreigen in Blöcke eingeteilt. Der erste Block umfasste die „Rahmenbedingungen der Weinwirtschaft“, dann referierten österreichische und internationale Experten über den Bereich „Digitalisierung im Weingarten“. Den Abschluss bildete „Keller und Vermarktung“.
Rahmenbedingungen für eine digitalisierte Weinwirtschaft
Eine EU-Verordnung aus dem Jahr 2013 sieht vor, dass alle Verwaltungs- und Kontrollverfahren zu Förderungen mit INVEKOS (= Integriertes Verwaltungs- und Kontrollsystem) kompatibel sein müssen, insbesondere bei der Identifizierung von landwirtschaftlichen Parzellen. Franz Friedl, Leiter der Abteilung Mehrfachantrag/GIS, Agrarmarkt Austria, Wien, erklärte die Ausgangsbasis: unterschiedliche Datenbasen mit verschiedenen Flächen-Definitionen. Da es keine Möglichkeit gebe, eine zentrale Datenbasis für verschiedenste Anwendungen als Grundlage heranziehen zu können, erfolgt eine digitale Einbindung des Weinkatasters in das INVEKOS-System. Derzeit sind rund 40.000ha Weingärten bereits im INVEKOS-GIS grafisch eingebunden, rund 5.000ha warten noch auf eine aufwändige manuelle Erfassung.
Einen kleinen historischen Überblick von den Entwicklungsphasen bis zur Digitalisierung gab Alois Geyrhofer, Lehrer an der Wein- und Obstbauschule in Klosterneuburg. Der Fachmann für Wirtschaftsingenieurwesen im Wein- und Obstbau führte die Phasen Mechanisierung, Rationalisierung und Automatisierung als Vorstufen zur jetzigen Phase der Digitalisierung an. An der Schule gebe es verschiedene Forschungsschwerpunkte dazu. Kleines Resümee des Vortragenden: „Die Digitalisierung ist nicht aufzuhalten.“
Der Präzisionsweinbau hat im Weinbauland Spanien einen großen Stellenwert in der Forschung. Luis Gonzaga Santesteban, Dozent und Forscher am Department für agrarische Produktion der Universität Pública de Navarra, lieferte einen Überblick dazu. Neue Technologien hätten das Ziel, für besseres Weingartenmanagement zu sorgen, weil es in der Praxis oftmals sehr inhomogene Weingärten gibt. Die technologischen Möglichkeiten hätten in den vergangenen zehn Jahren enorm zugelegt. Verschiedene Sensoren (RGB, Multispectral, Hyperspectral und Wärmebilder) bringen viele Informationen zu den Blättern der Rebe. Als Ziel nannte Santesteban, die Aussagekraft zu steigern, „denn letztlich interessiert uns ja der Status der Trauben“. Fazit: „Diese Technologien zur Steuerung von Bewässerung, Bodenbearbeitung und Ernte werden in der Praxis dann ankommen, wenn sie anwenderfreundlich und leistbar sind. Wahrscheinlich werden später viele dieser Arbeiten von Robotern übernommen werden können“, so Santesteban.
Digitalisierung im Weingarten
Welche Informationen benötigt ein Winzer, um gesunde und reife Trauben produzieren zu können? Michaela Griesser, Stv. Leiterin der Abteilung Wein- und Obstbau, Department für Nutzpflanzenwissenschaften an der Universität für Bodenkultur Wien, gab einen Einblick zur Vielfalt an relevanten Daten. Einerseits zählen abiotische (Nährstoffe, Wasser, Licht ...) und biotische (Viren, Bakterien, Pilze ...) Stressfaktoren der Rebe dazu, andererseits diverse Ertragsparameter. Griesser stellte diverse Messmethoden vor, die zu einer riesigen Datenwolke führen. Die Herausforderung sei, „die Daten zu konzentrieren und daraus für die Praxis ableitbare Erkenntnisse zu gewinnen“.
Welche digitalen Möglichkeiten es zur Detektion und Vermeidung von Trockenstress im Weingarten gibt, zeigte José Carlos Herrera, Universitätsassistent in der Abteilung Wein- und Obstbau, Department für Nutzpflanzenwissenschaften, Universität für Bodenkultur Wien, auf.
Durch die Digitaltechnik können viele Daten der Rebe erhoben werden. Die Herausforderung der Wissenschaft liege aktuell darin, die Unmengen an Daten zu koordinieren und für die Praxis aufzubereiten. Oft herrsche große Variabilität in den Weingärten, dadurch wäre es notwendig, einheitliche Teilflächen zu detektieren, um sie dementsprechend unterschiedlich zu bearbeiten. Ein praktisches Beispiel mit unterschiedlichen Düngergaben brachte Matteo Gatti, Assoc. Professor am Department für Nachhaltige Pflanzenproduktion, Università Cattolica del Sacro Cuore in Italien.
Hilfestellung im Bereich des Pflanzenschutzes gilt als eines der großen Ziele der Digitalisierung im Weinbau. Eine Früherkennung von Rebkrankheiten wäre eine große Hilfe für die Praxis. Doch auch Behörden könnten profitieren. Mittels Chlorophyll-Analysen versucht man etwa bei der AGES, Quarantänekrankheiten zu detektieren. Helga Reisenzein, Leiterin der Abteilung Molekularbiologische Diagnose von Pflanzenkrankheiten bei der AGES, referierte über erste Erfahrungen. Mithilfe von drohnenbasierten Multispektralanalysen könne die Vitalität von Pflanzen großflächig erhoben werden. Die Anwendung dieser neuen Technologie zur Früherkennung von Vergilbungskrankheiten wie Flavescence dorée und Schwarzholzkrankheit werde an verschiedenen steirischen Weingärten getestet. Erste Ergebnisse zeigen, dass eine Früherkennung durch Multispektralanalysen grundsätzlich möglich ist, jedoch die derzeit eingesetzten Parameter weitere Anpassungen erfordern. Eine Differenzierung der Rebenkrankheiten mit Chlorophyllmangel-Symptomen funktioniert in der Praxis noch nicht. Ein spezifisches Monitoring für Vergilbungskrankheiten könne allerdings über einen definierten Aufnahmezeitpunkt erfolgen, erklärte Reisenzein.
Digital im Keller und in der Vermarktung
Die Digitalisierung ist im Keller und in der Vermarktung besonders fortgeschritten. Einige Firmenvertreter zeigten anhand ihrer Produkte und Dienstleistungen die technischen Möglichkeiten auf.
Über das (digitale) Kellerbuch und die Registrierkassa referierte Andreas Pfaller, Geschäftsführer der LBG Computerdienst GmbH, Korneuburg. Pfaller sieht in der Verbindung der Unmengen an Daten die Herausforderung der Zukunft.
Als Logistiker zeigte Andreas Leithner, Geschäftsführer von „Die Wein-Lagerlogistik“, Parndorf, auf, welche Vorteile Warenwirtschaftsprogramme den Produzenten bringen. Damit sich Winzer auf ihr Kerngeschäft, die Produktion und den Verkauf, konzentrieren können, habe man eine Weinlogistik-App entwickelt. „Damit können Weine einfach und schnell versandt werden - egal von welchem Standort aus“, so Leithner.
Seitens des Lebensmittelhandels gibt es immer höhere Anforderungen an die Lieferanten. So wird etwa eine Rückverfolgbarkeit der Produkte gefordert. Hier setzt die Firma GS1 an. Rund 200.000 Produkte seien bereits in der Datenbank von GS1 vorhanden. Damit werde die gesamte Wertschöpfungskette begleitet, so Alexander Peterlik, Business Development Manager bei GS1 in Wien. Alle Teilnehmer können so einfach eine echte Rückverfolgbarkeit gewährleisten.
Welchen Stellenwert der E-Commerce bereits eingenommen hat, erklärte Markus Österreicher, E-Commerce-Leiter bei Wein & Co. So seien heute mehr als 20 Milliarden Geräte über das Internet verbunden – Tendenz stark steigend. Der österreichische Internet-Einzelhandel konnte seinen Umsatz im Jahr 2016 auf 3,4 Milliarden Euro steigern, während der Anteil am gesamten Einzelhandelsumsatz stagnierte. Fast 70% der Österreicher kaufen bereits online, wobei bei den Online-Käufern Konsumenten mit einem Alter zwischen 20 und 29 Jahren dominieren.
Österreicher führte die wichtigsten Gründe für den Online-Kauf an: Bequemlichkeit als Top-
Argument; gezieltes Suchen; bessere Vergleichbarkeit, Erkennen von Verfügbarkeiten (Lagerstände); keine Öffnungszeiten; Komfort (Lieferung, Pick-up, Rücktrittsrecht ...); größere Auswahl und attraktivere Preise. Mit einem Blick in die Zukunft gab Österreicher gleichzeitig praktische Tipps:
- Die Optik des Webshops sei wichtig, die Funktionalität aber noch wichtiger (Mobile First!).
- Produktdaten und die Präsentation werden immer entscheidender, dabei kommt Kundenbewertungen eine enorme Bedeutung zu. Sie seien als zusätzliche Chance zu sehen. Kunden vertrauen Empfehlungen von Freunden – das sei die soziale Komponente des E-Commerce.
- Es gelte, auch andere Marktplätze zu beachten, wie auch die Verbindung zu Social-Media-Kanälen.
- Das Sammeln, Pflegen und Verarbeiten von Kundendaten wird zum entscheidenden Faktor im Wettbewerb werden.
„Die Digitalisierung des Alltags und das veränderte Konsumverhalten lassen die Grenze zwischen stationärem Handel und digitalem Online-Handel immer mehr verschwimmen“, lautet das Resümee des Spezialisten von Wein & Co.
Einige internationale Beispiele der Digitalisierung vom Keller bis zum Kunden brachte Albert Franz Stöckl, Leiter des Studiengangs International Wine Business der IMC Fachhochschule Krems. Sein Kollege Prof. Michael Reiner, Lehrer am Department of Business der IMC Fachhochschule Krems, stellte die Möglichkeiten von VR-Brillen vor. VR stehe für Virtual Reality und damit für die Möglichkeit, Videos im 360°-Modus zu fertigen, die etwa für stimmungsvolle Werbevideos genutzt werden können.
Fazit
Die Digitalisierung hat längst Eingang im Weinbau gefunden. Sie beginnt bei der Auspflanzung und reicht bis in den Keller und die Vermarktung. Trockenstress und der Ernährungsstatus der Rebe können digital sichtbar gemacht werden, manche Rebkrankheiten frühzeitig erkannt werden. Durch den Einsatz im Präzisionsweinbau können Erträge gesichert und gesteigert werden. Neben langfristig höheren Gewinnen profitieren auch die Umwelt und die Biodiversität. In vielen Bereichen muss die Technik aber noch verfeinert, praxistauglich und leistbar gemacht werden, dann wird sie größere Verbreitung finden.