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Vernetzung und Austausch: Knapp zweihundert Teilnehmer aus der internationalen Weinbauforschung reisten zur OenoViti-Konferenz sowie geschlossenen Arbeitsgruppentreffen nach Wien. © Marie Arduin

OENOVITI-SYMPOSIUM

Weinbau-Forschungsnetzwerk tagte zu Themen der Nachhaltigkeit

Ein Artikel von Irene Rittler | 25.06.2025 - 14:49
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Das Bundesamt für Wein- und Obstbau (mittig Direktor Reinhard Eder) wurde als jüngstes Mitglied in das Forschungsnetzwerk OenoViti aufgenommen. Weiters von links: Astrid Forneck (BOKU), Cristina Reguant (Universitat Rovira i Virgili), Adriaan Oelofse (South Africa Wine), Netzwerk-Koordinator Pierre-Luis Teissedre (Universität Bordeaux), Hans Schultz (Geisenheim University), Mario Pezzotti (Universität Verona) und Jean-Pierre Da Costa (Bordeaux Sciences Agro) © Marie Arduin

Die Weinbranche steht international vor großen Herausforderungen, welche dem Klimawandel, den sozialwirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie dem Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit geschuldet sind.

Das seit nunmehr 15 Jahren bestehende Netzwerk OenoViti hat die internationale Vernetzung und Zusammenarbeit zu aktuellen Themen der Branche zum Ziel. Unter der Leitung des Weinbauinstitutsleiters der Universität Bordeaux, Pierre-Luis Teissedre, lud die Organisation in diesem Jahr in Kooperation mit der BOKU (Astrid Forneck) zum Treffen nach Wien.

Dem Netzwerk gehören mittlerweile 68 Mitgliedsinstitutionen aus 24 Ländern an. Im Vorjahr wurde die HBLA u. BA für Wein- und Obstbau Klosterneuburg als neuestes Mitglied aufgenommen. Die jährlich stattfindenden Schlumberger Lectures wurden diesmal als Teil des OenoViti-Symposiums abgehalten und fokussierten insbesondere auf die praktischen Anwendungsmöglichkeiten neuer Forschung.

Zur Konferenz in Wien trafen knapp 200 Gäste für das Symposium sowie interne Arbeitsgruppentreffen zusammen. Abseits der Fachveranstaltungen gab es für die teils weit angereisten Teilnehmer auch reichlich Gelegenheit, das Weinland Österreich näher kennenzulernen.

Die gegenwärtig schwierige Lage

Der erste Themenblock des Symposiums wurde von Geisenheim-Direktor Hans Schultz eröffnet, der eindrücklich den aktuellen Stand der Gesundheit landwirtschaftlicher Böden in Europa beleuchtete. Obwohl unsere Böden als wichtigste Ressource und Grundlage für die Landwirtschaft gelten, werden EU-weit zwischen 60 und 70 % der Böden als degradiert bzw. „ungesund“ eingestuft. Grund dafür sind unter anderem (Wasser)Erosion sowie der Abbau organischer Substanz, wodurch die massive Menge von rund 1,14 Gigatonnen CO₂ pro Jahr abgegeben wird – ein bisher in Klimakalkulationen noch gar nicht mitberücksichtigter Faktor. Als wesentlicher Aspekt für den Zustand der Böden gilt zudem der starke Anstieg der Temperatur, der in Geisenheim seit 1919 bis in eine Tiefe von einem Meter gemessen wurde und seit einigen Jahren immer rasanter ansteigt. Da der (Wieder)Aufbau organischer Substanz als langwieriger und schwieriger Prozess gilt, ist fraglich, ob der EU-Bodenstrategieplan (Teil des „European Green Deals“), der die Herstellung gesunder Böden in Europa forcieren will, bis 2050 umsetzbar ist. Schultz kommentierte auch das Thema Weingartenrodungen, welche naturgemäß ebenfalls Auswirkungen auf die CO₂-Funktionen der entsprechenden Flächen haben.

Astrid Forneck sprach zu den vielfältigen Stressfaktoren, welchen Weinreben mittlerweile ausgesetzt sind. Da sich so viel verändere, gelten die traditionellen Lehrmeinungen nur mehr bedingt, wie sie anmerkte: Die Zahl der Stressfaktoren steige stark an, wodurch die Lebenserwartung von Reben sowie die Vielfalt des Mikrobioms in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Auswirkungen von Umweltfaktoren auf die Pflanzen seien komplex, jedoch gebe es dazu nur wenige konkrete Studien im Weinbau. Das Zusammenwirken verschiedener Stressfaktoren wie Wassermangel, Hitze, Bodenverschmutzung oder Schädlingsbefall sowie auch bisher unbekannte bzw. nicht miteinbezogene Faktoren gelten als nur rudimentär verstandenes Problem. Sie stellte konkrete Forschungsprojekte zu den Themen Hitze und Trockenheit, Wasserstatus und Beerentemperatur sowie latentem Reblausbefall an den Wurzeln bei Trockenstress vor.

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Volles Haus an der BOKU: Das Vernetzungstreffen zu den aktuellen Herausforderungen in der Branche brachte zahlreiche internationale Spitzenforscher nach Wien. © Marie Arduin

Neue Technologien und Chancen

Zu den aufsehenerregendsten Sprechern auf der Konferenz zählte Mario Pezzotti von der Universität Verona, welcher Anfang des Jahres anlässlich seiner Versuchspflanzungen von gentechnisch veränderten Chardonnay-Reben in den Medien gewesen war. Anders als bei der Zucht von pilzwiderstandsfähigen Rebsorten (PIWIs), bei der genetisch neue Sorten durch Kreuzungen entstehen, verwendeten er und sein Team von EdiVite die Genschere (Crispr), um gezielt Mutationen an einer spezifischen Stelle im Gencode vorzunehmen und so Oidium-resistente Chardonnay-Pflanzen zu erhalten. Die als „sanfte Gentechnik“ (NGT1) bekannte Methode greift in die eigentliche DNA der Pflanze kaum ein und wird auch als „assistierte Evolution“ bezeichnet. Die im Verfahren lediglich zertrennte und wieder verbundene Gensequenz wird auf nützliche Mutationen hin untersucht, und aus vielversprechenden Zellen wird schließlich eine ganze Pflanze gezogen. Pezzotti benannte die Chancen durch die Technologie mit dem Erhalt pilzwiderstandsfähiger Varianten bestehender Sorten und deren ökologische Vorteile. EU-rechtlich steht aktuell eine mögliche Zulassung von NGT1-Pflanzen im Raum, an welchen nur minimale Veränderungen vorgenommen wurden. Österreich steht gentechnisch veränderten Pflanzen traditionellerweise ablehnend gegenüber.

Auch die sogenannte „Präzisionslandwirtschaft“ war Thema bei der Konferenz: Die Verwendung intelligenter Maschinen und Sensorsysteme gilt als große Chance in der Effizienzsteigerung bei der Bewirtschaftung. Diesbezüglich stellte Jean-Pierre Da Costa vom Institut Bordeaux Sciences Agro zwei Projekte zur visuellen Erfassung von Vegetationsverlauf und Krankheitsdruck im Weingarten mittels mobiler bzw. stationärer Systeme vor. Weitere Bemühungen zielen darauf ab, wie die erfassten Daten sinnvoll verarbeitet werden können, um Aussagen für die praktische Anwendung in der jeweiligen Parzelle ableiten zu können.

Christophe Tissier, technischer Berater für die europäische Landwirtschaftsmaschinenvereinigung CEMA, gab einen umfassenden Überblick zu den EU-Regulierungen von neuen (autonomen) technischen Systemen wie Robotern und künstlicher Intelligenz in der Landwirtschaft, welche in den kommenden Jahren in Kraft treten sollen. Sie bilden die Grundlage für die sichere Anwendung der neuen Technologien und bieten Entwicklern einen rechtlichen Rahmen.

Alkohol – alkoholfrei?

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Wein könne man mit all seinen Komponenten durchaus wie das Zusammenspiel in einem Orchester betrachten, so Adriaan Oelofse. Wird nicht gegengesteuert, entstehe beim Wegfall von Alkohol ein unharmonischer geschmacklicher Eindruck. © Marie Arduin

Dem Thema veränderter Konsumgewohnheiten hin zu weniger Alkohol waren ebenfalls zahlreiche Vorträge gewidmet.

Zur Debatte zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Alkoholkonsum fasste Ernährungswissenschaftlerin Ursula Fradera von der Deutschen Weinakademie den aktuellen Wissensstand zusammen, wonach insbesondere beim moderaten Konsum von einem Glas Wein täglich im Rahmen einer mediterranen Diät positive Auswirkungen auf die Gesundheit von Probanden festgestellt werden können. Angemerkt wurde zudem, dass bisherige Studien einerseits hauptsächlich auf Selbstauskunft von Probanden beruhen und methodische Mängel aufweisen, andererseits die Komponente der psychischen Gesundheit einen bisher kaum bedachten Aspekt darstellt.

Global zeichnet sich mittlerweile ein Trend hin zu alkoholfreiem Wein ab. Laut Ulrich Fischer vom DLR Rheinpfalz seien Konsumenten für diese neue Art des Produktes aktuell oft noch offener als die Produzenten selbst. Er sieht die Entwicklungen als Chance, mit einem neuen Produkt auch eine neue Konsumentengruppe zu erschließen.

Johanna Huber vom Marketing-Institut der BOKU Wien plädierte in ihren Ausführungen für die Inklusion der neuen Zielgruppe, welche anderweitig nicht an der Weinkultur teilhaben würde.

Als bekanntes Problem in der Produktion entalkoholisierter Weine gilt aktuell noch das „Einstellen“, bzw. die geschmackliche Qualität. Durch den Wegfall der Komponente Alkohol werde unter anderem der Zusatz von Zucker nötig, wie unter anderem Adriaan Oelofse von South African Wine anmerkte. Die Kategorie alkoholfreier Wein gilt als heißes Thema in Südafrika, zu welchem viel Forschung betrieben wird. Auch Matthias Schmitt aus Geisenheim referierte zu den Eigenschaften und geschmacklichen Verbesserungsmöglichkeiten von entalkoholisiertem Wein. Insbesondere der Zusatz von CO₂ sowie Tanninen gilt als gute Möglichkeit, ein ähnliches Mundgefühl zu erzeugen, wie es beim herkömmlichen Wein entsteht.

Weitere önologische Beiträge gab es von Cristina Reguant von der Universität Rovira i Virgili in Spanien zur Verwendung von Fumarsäure zur Unterbindung der malolaktischen Gärung und Mariona Gil i Cortiella von der Universität Chile zur Frage, welche Auswirkung die Behälterform auf die Weinproduktion hat. In den dazu vorgenommenen Kleinversuchen wurden zwar Unterschiede zwischen den Behälterformen festgestellt, jedoch war es nicht möglich, daraus gemeingültige Ableitungen zu machen.

Green Deal und Nachhaltigkeit

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Das Thema Nachhaltigkeit sieht Sabine Bauer-Wolf von der ÖWM als Chance für den österreichischen Weinbau. Wichtig sei ehrliche Kommunikation und Bewusstsein für die eigenen Stärken. © Marie Arduin

Der Direktor der HBLA u. BA für Wein- und Obstbau Klosterneuburg, Reinhard Eder, sprach über zahlreiche vielversprechende Ansätze zur Verbesserung der Nachhaltigkeit in der österreichischen Weinproduktion. Hier gibt es insbesondere hinsichtlich des Energieverbrauchs einiges an Einsparungspotenzial: durch Kellerbauweisen, welche eine ressourcenschonende Verarbeitung unterstützen, oder den Verzicht auf energieintensive Kühlung (Nachtlese, Weinsteinstabilisierung ohne Kühlung). Weitere Themen waren unter anderem der Verzicht auf Neuglas, Alternativen zu Plastik im Weingarten, das Recycling von CO₂ aus der Fermentation, der Verzicht auf nachweislich umweltschädliche Hilfsstoffe, das Abwasser- und Abfallmanagement und auch die weniger energieintensive Entalkoholisierung mithilfe von hydrophoben Membranen.

Zu bevorstehenden EU-Regulierungen, welche in den kommenden Jahren auf Winzer zukommen werden, gaben die Sprecherinnen Barbara Iasiello und Diana de Bernardy von GS1 France Einblick: Die im Zuge des „Europan Green Deals“ etablierten Regulierungen zu Verpackung und Recycling, Kreislaufwirtschaft und digitalem Produktpass werden bis zu den jeweiligen Umsetzungsfristen Anpassungen in Verpackung, Logistik und Dokumentation für die Betriebe erforderlich machen. Wesentliche Auswirkungen wird auch die „Farm-to-Fork“-Strategie haben (Reduzierung von Pestiziden und Düngemitteln).

Abschließend sprach Sabine Bauer-Wolf von der ÖWM über die Kommunikation von Nachhaltigkeit und Österreichs Vorreiterrolle auf dem Gebiet. Bedeutend sei es, die Chance des Trends hin zu nachhaltigerer Landwirtschaft wahrzunehmen und gezielt zu nutzen. Dadurch sei es auch möglich Kunden zu gewinnen, welche durchaus bereit seien, etwas mehr für ihren Wein zu zahlen. Die Kleinstrukturiertheit der österreichischen (Familien-)Betriebe und der hohe Anteil an Bio- und Nachhaltig-zertifizierten Weingütern gelten als ideale Basis, auf welcher eine ehrliche und zukunftsfähige Marketingstrategie aufgebaut werden kann.