Die ÖWM möchte die Konsumenten überzeugen, Rotwein nicht nur vor dem Kaminfeuer zu genießen, sondern auch als passendes Getränk für warme Sommertage zu entdecken. Mehr lesen ...
Einführend zur Podiumsdiskussion zum Thema Terroir vs. Naturwein zeichnete Buchautor Simon J. Woolf die Entstehung des Begriffs „Natural Wine“ nach, an dem sich heute viele stoßen. So kam die Naturweinbewegung im französischen Beaujolais auf, das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunächst sehr erfolgreich gewesen und in weiterer Folge schließlich durch Überproduktion und Industrialisierung geprägt war. Aus dieser Arbeitsweise auszubrechen, war das Ziel von Vorreitern wie Jules Chavet und Jacques Néauport, die Weine ohne Zusätze forcierten. Für die Bezeichnung der neuen Weine orientierte man sich am französischen Begriff für Joghurt ohne Zusätze: yaourt nature. Daraus wurde Vin Naturel. In den 1990er-Jahren wurden diese in kleinen Pariser Weinbars angeboten. Als der Trend Großbritannien erreichte, kam schließlich der Begriff Natural Wines auf. Heute ist der Begriff etabliert und die Bewegung global.
Eine Person, die nicht unwesentlich zum Erfolg der Natural Wines beigetragen hat, ist Isabelle Legeron, Master of Wine und Gründerin der erfolgreichen Raw-Wine-Messen, die seit 2012 in Städten wie New York, Los Angeles, Berlin, Paris und Shanghai stattfinden. Am Anfang sei es ein schwieriges Unterfangen gewesen, erzählte Legeron. Ab 2017 setzte jedoch ein starkes Wachstum ein. Sie selbst präferiert authentische Terroir-Weine mit Struktur und sieht eine Tendenz hin zur Kommerzialisierung am Markt: Viele „Natural Wines“ seien simple Leichtweine ohne Terroir-Ausdruck – sogenannte Glou-Glou-Weine – und sind nach ihrer leichten Trinkbarkeit benannt („GlugGlug“).
Natural: kein Weinstil, sondern eine Vinifizierungstechnik
Weinjournalist Simon J. Woolf erinnerte daran, dass Naturwein wie Orange Wine eine Vinifizierungstechnik beschreibe, nicht einen Weinstil. Die minimale Verwendung von Schwefel zur Verhinderung von Oxidation ist einer der wichtigsten Punkte der Natural Wines – dies erfordere allerdings einiges an Geschick, Erfahrung und Fachwissen. Naturweinen werden oft oxidative Noten oder Fehlerhaftigkeit nachgesagt. Mit Katharina Wechsler und Sara Pérez kamen zwei Naturweinwinzerinnen zu Wort. Sie führten aus, wie die Suche nach authentischer Terroir-Stilistik sie letztlich zum Bruch mit etablierten Konventionen und hin zu Natural Wines führte.
Andreas Wickhoff berichtete von seinen ersten Versuchen ab 2007, als Geschäftsführer der Exportgemeinschaft Premium Estates, die neuen biodynamischen Weinstile von Winzern wie Fred Loimer und Gernot Heinrich am Markt zu etablieren. Es bedurfte eines Lernprozesses, der sowohl auf Produzenten- als auch auf Kundenseite stattfand. Wickhoff sieht heute besonders im Blaufränkisch vom Leithaberg terroirgeprägte biodynamische Spitzenweine.
In der anschließenden Diskussion wurde kritisiert, dass „Natural“ zunehmend als Marketinginstrument verwendet wird. PetNat und Glou-Glou-Weine seien zwar kommerziell sehr erfolgreich, hätten aber mit ihrer Simplifizierung den Ursprung der Naturweine geradezu pervertiert. „Vieles, was als Natural Wine auf den Markt kommt, hat keinen Herkunftscharakter“, kritisierte Pole Wojciech Bońkowski aus dem Publikum. Simon J. Woolf entgegnete, dass der reine Geschmack wichtiger sei als die Herkunftszuschreibung. Diese sei zudem oft eher über die Stilistik der Vinifikation als über das Terroir zu erkennen.
Lagerspaltung bringt nichts
Weinjournalist Jamie Goode meldete sich ebenfalls aus dem Publikum zu Wort und brach eine Lanze für konventionelle Weinmacher. Nur weil bestimmte Mittel in der Weinherstellung erlaubt seien, heiße das noch nicht, dass diese auch verwendet würden. Viele Premiumweine seien praktisch Naturweine mit minimalem Schwefelgebrauch. Goode kritisierte die starre Einteilung in konventionell, nachhaltig und biologisch/biodynamisch. Er forderte eine stärkere Orientierung an regenerativen Methoden: Biodiversität, gesunde Böden und resiliente Reben seien entscheidend. Man müsse zugeben, dass Bioweine oft nicht aus der nachhaltigsten Wirtschaftsweise stammen.
Goode appellierte zudem, die Weinwelt nicht weiter in Lager zu spalten. Die Entwicklungen sollten als gemeinsamer Fortschritt gesehen werden. Simon J. Woolf stimmte zu: Natural Wine sei keine Stilistik, sondern eine Philosophie. Aggressive Abgrenzung schade der Branche – voneinander zu lernen müsse das Ziel sein.