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Sitten und Bräuche rund um den Wein

Ein Artikel von ÖkR Dipl.-HLFL-Ing. Josef Pleil | 12.04.2021 - 14:06

Ein herrliches Weinbuch, das in seiner Konzeption als einmalig gelten darf, hat Johann Werfring in der Oberwarter Edition Lex Liszt 12 herausgebracht. Der ­Autor unternimmt in 50 Kapiteln eine Zeitreise von der Monarchie bis in die Gegenwart und bietet erstmalig einen Überblick über die Weinbräuche aller österreichischen Weinbaugebiete. Das 312 Seiten starke Buch ist mit 287 Abbildungen reichlich illustriert und bibliophil gestaltet. 

Arbeits- und Festbräuche 

In den ersten Abschnitten stellt der Autor alte Arbeits- und Festbräuche vor, die den Alltag der Hauer strukturierten. Viele von ihnen sind dem kollektiven Gedächtnis längst entschwunden. Indem er diese nun ans Tageslicht gebracht hat, ermöglicht der Autor eine Anknüpfung an frühere Traditionen. Bei bestimmten Arbeiten erwies sich der Bauer seinen Arbeitskräften gegenüber als ausgesprochen spendabel. Durchaus schlaraffisch ging es in der Gegend südlich von Wien bei der Anlage eines neuen Weingartens zu. Über die ausgiebige Verköstigung in den Arbeitspausen hinaus wurde den Dienstleuten selbst während der Arbeit reichlich Wein verehrt, denn es hieß, dass die jungen Reben mit Weindunst angehaucht werden müssen, damit sie später guten Ertrag bringen. 

Die seinerzeit gepflegten Rituale zur Weinlesezeit waren vielgestaltig. Eine Reihe von Abbildungen im Buch veranschaulicht, dass früher die Weinlese in so manchen Gebieten mit Musik umrahmt wurde. In dem ehemals selbstständigen und nachmals nach Wien eingemeindeten Ort Ottakring zogen die zur Weinlese bestimmten Personen frühmorgens jauchzend und singend in den Weinberg hinaus und kehrten am Abend in selbiger Weise in den Ort zurück. In Pötzleinsdorf wurde bis ins 19. Jahrhundert sogar die eigentliche Lesearbeit mit Musik begleitet. 

So manche alte Bräuche wirken auf heutige Betrachter recht ergötzlich, etwa die kuriosen Neckereien, mit denen die harte Weinbergarbeit aufgelockert wurde. Ein im Wiener Umland geübter Weinlese-Schabernack war das „Fleißigtaufen“, bei dem nachlässige Arbeitskräfte in ­kurios-ritueller Weise mit einem Becher Traubenmost ­„getauft“ wurden. 

Ein in den verschiedenen Weinlandschaften mit allerlei Bräuchen verbundenes bäuerliches Freudenfest war der Abschluss der Weinlese. Eine beeindruckende, im Buch abgedruckte Bilderfolge aus Matzen im nördlichen Weinviertel zeigt, wie festlich und jubilierend noch in den 1960er Jahren die „letzte Traubenfuhr“ eingebracht wurde. Beim anschließenden „Leshahn“, der landschaftlich auch Bezeichnungen wie „Odamarsch“, „Adrimarsch“, „Leikauf“ oder „Valedri“ hatte, durften sich die Arbeitskräfte so richtig den Bauch vollschlagen. In der Steiermark gab es 

im Rahmen dieses Mahls mit dem „Krapfenlotter“ ein ­beliebtes kulinarisches Gesellschaftsspiel. Dort war das Gesamterlebnis rund um die Weinlese für viele derart ­attraktiv, dass sich ohne Weiteres Dutzende Arbeitskräfte kostenlos als Lesehelfer zur Verfügung stellten. 

Als schillernde, brauchtumsbestimmende Figur wird im Buch in aller Ausführlichkeit der Hiata vorgestellt. Ganz offensichtlich übte der zur Weinlesezeit rund um die Uhr in die wilde Natur exponierte Weingartenhüter einen besonderen Reiz auf die Frauenwelt aus, denn in den Hüter­ordnungen wurde immer wieder angeordnet, dass in der Hiatahütte „keine Unzucht getrieben“ werden darf. Schließlich war der Weingartenhüter nicht zu seinem Vergnügen, sondern zum Beschützen der Trauben ins Weingebirge entsandt. 

Das mächtigste Weinbrauchtum, wie es bis heute in Perchtoldsdorf und Neustift am Walde ausgeübt sowie bewahrt wird, ist aufs Engste mit dem Hiatawesen verbunden. Im Buch ist auch nachgezeichnet, welche Elemente den Festivitäten im Laufe der Zeiten abhandengekommen sind. In Tattendorf wird bis heute eine Form der dörflichen Feste bewahrt, wie sie bis in die 1970er Jahre in weiten Teilen Ostösterreichs üblich und beliebt war. Bei solchen Veranstaltungen, bei denen ein Festbürgermeister und eine Festbürgermeisterin präsidierten, bildeten der groß angelegte Umzug und der allseits beliebte „Tanz unter dem Traubenhimmel“ die Höhepunkte. Sinnliche Spiele wie das Verhaften von Tanzpaaren und der Einsatz von „Kuss­glocken“ kamen beim Publikum außerordentlich gut an. 

Feierlichkeiten im Großen wie im Kleinen 

Groß angelegten Weinfestivitäten wie jenen in Perchtoldsdorf, Neustift am Walde, Gumpoldskirchen, Retz, Poys­dorf, Podersdorf, Mistelbach oder Gamlitz sind im Buch ebenso eigene Kapitel gewidmet wie jenen Veranstaltungen, die im engeren Kreis der Dorfgemeinschaften geübt werden, wie dem Hiatabamaufstellen und dem Umgang in Wolkersdorf, dem Klapotetzaufstellen in der Südsteiermark, dem Bittgang in Gumpoldskirchen oder dem Erntedank in Spitz an der Donau, in Weißenkirchen und in Rehberg bei Krems an der Donau. So manche Bräuche wie das Weinvergraben im Mittelburgenland, das Ritual in Baden bei Wien anlässlich der Eröffnung der Traubenkurwochen oder der steirische Mistball dürften einer breiteren Öffentlichkeit bislang völlig verborgen gewesen sein. Über­raschende und absolut ausgefallene Themen des Buchs sind auch Fasslrutsch-Aktivitäten außerhalb von Klosterneuburg und diverse Oster- sowie Hochzeitsbräuche mit Weinbezug. Erstmals erforscht hat der Autor zudem die Weinbräuche der österreichischen Herrscher, welche sich mit Vorliebe in einem imperialen Schönbrunner Wein­garten bei der Weinlese „erlustigten“. 

Erzählerisch gewitzt und bildlich gut unterstützt widmet sich der Autor auch den Keller- und Heurigenbräuchen, wie sie in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg noch weitflächig gepflegt wurden. Er hat dazu eine Vielzahl an schriftlichen Quellen ausgewertet und im Wege der Feldforschung zahlreiche Zeitzeugen befragt. Alles in allem liegt mit dem Buch „Weinbräuche in Österreich“ von Johann Werfring ein fundiertes Standardwerk mit solider Machart vor. Man nimmt es immer wieder gerne zur Hand.

Johann Werfring: Weinbräuche in Österreich. Edition Lex Liszt 12, Oberwart 2021, Hardcover, 312 Seiten, 287 Abbildungen, Preis: 34 Euro, kostenfreier Versand über morawa.at

Der Autor 

ÖkR Dipl.-HLFL-Ing. Josef Pleil, ehemaliger österreichischer Weinbaupräsident