Spannungsfeld Mechanisierung versus Qualität

Ein Artikel von CR DI Josef Glatt, MBA | 24.09.2012 - 09:18

Der Arbeitsaufwand im Weingarten ist ein wesentlicher Faktor in der Traubenproduktion. Natürlich wegen der relativ hohen Kosten, aber vielfach ist es auch gar nicht mehr möglich, die ­erforderlichen Arbeitskräfte zu be­kommen. Weinbaubetriebe, die eine ­bestimmte Bewirtschaftungsgröße erreicht haben, sind aber auf Fremdarbeitskräfte angewiesen. Die Forschungsanstalten reagieren seit Jahren auf diese Problematik und versuchen den notwendigen Arbeitskräftebesatz durch Erhöhung der Mechanisierung im Weingarten zu reduzieren. Gewisse Mechanisierungsschritte wie der Rebvorschnitt, die Bearbeitung des Zwischenstockraumes, die mechanische Entblätterung, das Heften und Wipfeln der Triebe und immer mehr auch die Lese durch den Traubenvollernter sind mittlerweile Standard.

Minimalschnitt-System

Eine besonders extreme Form der Mechanisierung, die in der Praxis bereits umgesetzt wird, sind die Minimalschnittversuche auf der in unseren Breiten üblichen Spaliererziehung durch die Forschungsanstalt in Bad Kreuznach an der Nahe (siehe auch diesbezügliche Artikel von Oswald Walg in den Winzer-Ausgaben 11/2011 und 12/2011). Nach einem Übergangsjahr, in denen die zugrunde liegenden Strecker im Drahtrahmen gut verankert werden, die Triebe in den Drahtrahmen gut eingestrickt und ebenfalls verankert werden, wird in den Folgejahren anstelle des Rebschnittes das alte Holz mit einem geeigneten Laubschneider entlang dem Drahtrahmen soweit als möglich zurückgeschnitten. Die Auflockerung der daraus resultierenden Laubwand erfolgt durch mechanische Entblätterung und eine Ausdünnung des normalerweise doch hohen Ertrages erfolgt durch wohldosierte Schläge mit dem Traubenvollernter. Wohldosiert deswegen, da bei zu hoher Schlagfrequenz leicht ein Nullertrag resultiert. Der Pflanzenschutz erfolgt konventionell, wobei die aus dieser Erziehung resultierenden kleinen und lockeren Trauben, die über den gesamten Drahtrahmen verteilt sind, hohe Fäulnisresistenz aufweisen und die zu beobachtende Reifeverzögerung von bis zu zwei ­Wochen locker durch entsprechend spätere Lese ausgeglichen werden kann. Die Lese erfolgt zwingend mit dem Traubenvollernter. Mit einer ­derartigen Erziehung ist es möglich, von den derzeit durchschnittlichen 200 Arbeitskraftstunden den Arbeitsaufwand auf bis zu 60 Arbeitskraftstunden pro Hektar zu drücken.

Einsatz im Basissegment

Das neue System ist für gewisse Segmente des Weinmarktes, wie dem qualitativen Basissegment aber auch dem Sektgrundwein eigentlich eine bestechende Vision, um auch in unseren Breiten mit hohem Lohnniveau konkurrenzfähig produzieren zu können. Qualitativ sind die Weine aus Minimalschnitterziehungen, wie Vergleichsverkostungen beweisen, von Weinen dieses Segments aus konventionellen Erziehungen jedenfalls nicht zu unterscheiden. Aber nicht nur für Sektgrundweinproduzenten scheint diese arbeitsreduzierte Form der Bewirtschaftung eine strategische Option zu sein. Auch bei den Flaschenweinvermarktern sind nur wenige in der Lage, ihre gesamte Ernte im Spitzensegment zu vermarkten. Vielmehr vermarktet der Großteil der Winzer einen größeren Teil im preislichen Basis­segment und einen Teil im höheren bis zum Spitzensegment. In den Gebieten, in denen es bereits Erfahrung mit Minimalschnittsystemen gibt, gehen Winzer dazu über, ihr Basis­segment mit einem Minimalschnittsystem zu erzeugen, wodurch Arbeitskapazität frei wird, ihrem Spitzensegment besondere weinbauliche Aufmerksamkeit zu widmen. Wie auch immer, keiner kann sich in Zeiten wie diesen leisten, unwirtschaftlich zu arbeiten. Wer aber immer in der Vermarktung auf einer derartiges mehrstufiges Qualitätsmodell setzt, muss dies in seiner Kommunikation aber auch klar transportieren. Er muss diese Segmente klar unterscheiden, sowohl in der Weinlinienhierarchie, -bezeichnung und in der Etikettengestaltung (denn sensorisch tun sie es nicht immer in dieser Ausprägung). Denn ansonsten besteht die Gefahr der Kannibalisierung innerhalb der Weinkategorien und zur Abwertung des höheren Segmentes.