Abschaffung des Pflanzrechtsregimes?

Ein Artikel von CR DI Josef Glatt, MBA | 09.05.2011 - 09:44

Bekanntlich braucht jeder Winzer in Europa, der einen Weingarten auspflanzen will, eine diesbezügliche Berechtigung, nämlich ein sogenanntes Pflanzrecht. Hat er ein entsprechendes Pflanzrecht, aufgrund der Rodung eines anderen Weingartens oder aufgrund eines Ankaufes eines Pflanzrechtes oder aufgrund der Übernahme eines Pflanzrechtes aus einer Reserve, so kann er damit im entsprechenden Ausmaß einen Weingarten auspflanzen, sofern sich das Grundstück in einer abgegrenzten und zugelassenen Weinbauflur befindet. In Österreich werden diese Daten in den Weinbaukatastern der Bezirksverwaltungsbehörden verwaltet. Das System gilt aber in der gesamten EU und ist verantwortlich für einen mehr oder weniger stabilen Markt. Die trotzdem auftretenden Unebenheiten auf dem europäischen Markt versucht man, mit den Stützungsmaßnahmen der Weinmarktordnung zu glätten.

Früher versuchte man, die Überschüsse, die in manchen Jahren ­aufgrund der Ernteschwankungen auftreten, durch Verwertung (Destillation zu Alkohol) zu beseitigen. Heute versucht man, die Über­schüsse durch Steigerung der Wett­bewerbs­fähigkeit am globalen Markt unter­zubringen. Die abgegrenzten Weinbaufluren sind verantwortlich, dass der Weinbau in den qualitativen Gunstlagen konzentriert ist. In Mitteleuropa sind das geschützte Lagen, Hang- und Hügellagen bis hin zu Bergweinbaulagen und Terrassen­lagen. Diese seit Jahrhunderten etablierten Weinbaukulturlandschaften sind auch prägend für den Tourismus der jeweiligen Region.

Die frühere dänische Agrarkommissarin Fischer-Boel, die der Liberalisierung des Agrarsektors das Wort redet, hat in der in ihrer Amtszeit verlautbarten, derzeit gültigen Weinmarktordnung durchgesetzt, dass das aktuelle gültige Pflanzrechtsregime ab dem Jahr 2015 (bzw. aufgrund natio­naler Spielregeln längstens ab 2018) auslaufen soll. Gleichzeitig soll eine Bewertung durchgeführt werden, ob die derzeitige Verpflichtung der Festlegung von Weinbaufluren (Weinbaukataster) beibehalten werden soll. Deswegen könnte ab diesem Zeitpunkt jeder Weinbaubetrieb unbeschränkt auspflanzen, sowohl hinsichtlich der Flächen als auch hinsichtlich der Örtlichkeit. Begründet wurde der Vorstoß damit, dass die neuen Weinbauländer der südlichen Hemisphäre auch keine derartigen Beschränkungen haben. Dass die Australier mit dieser Politik der ungezügelten Auspflanzung mittler­weile einen Totalabsturz fabriziert haben, ist aber auch Tatsache. Die Traubenpreise sind in manchen aus­tralischen Weinbaugebieten derartig zusammengebrochen, dass viele Gebiete ihre Weingärten nicht einmal abgeerntet haben. Die Idee des wirtschaftlichen Liberalismus ist es eben, keinerlei Anbaubeschränkungen zu haben. Am Markt soll sich eben der leistungsfähigere oder rationellere Marktteilnehmer durchsetzen. Deswegen soll auch der europäischen Weinindustrie die Möglichkeit geboten werden, auf ebenen und frucht­baren Böden rationell große Mengen an Trauben zu produzieren, um kostenmäßig mit der neuen Weinwelt mithalten zu können. Jene, die konkurrenzfähig sind, werden sich behaupten, die anderen müssen eben etwas anderes tun. Teure Marktstützungsmaßnahmen wie derzeit werden dann ebenfalls nicht mehr benötigt, sei nur als kleiner Nebeneffekt angeführt. Profitieren tut ansonsten von einer derartigen Politik niemand. Nicht der Winzer, der von industriell produzierten Massenweinen konkurriert wird. Auch nicht der Konsument, dem die attraktiven weinbaulichen Kulturlandschaften abhanden kommen und der noch mehr als ­bisher authentische Herkunftsweine suchen muss – im Meer austausch­barer generischer Markenweine wie „Sonnentor“ und „Winzerstolz“.

Nur nebenbei erwähnt werden soll die Problematik der Abdriftschäden bei Pflanzenschutzmittelapplikationen, wenn Weingärten im Ackerbaugebiet direkt neben Getreidefeldern zu liegen kommen. Natürlich wird es den einen oder anderen geben, der es gerne sehen würde, auch ohne Kontingent auspflanzen zu können, oder der ein Grundstück dann auspflanzen könnte, das gerade nicht mehr in der Weinbauflur liegt. Dabei wird aber nicht bedacht, was eine Liberalisierung des Weinanbaues innerhalb der EU bedeuten würde. Mehr als 60 % der weltweiten Weinproduktion liegen nämlich innerhalb der Europäischen Union.

Bei dem im Rahmen der „Intervitis Vienna“ stattgefundenen Mitteleuropäischen Weinforum, das vom Österreichischen und Deutschen Weinbauverband veranstaltet wurde, war dieses Thema natürlich von zentraler Bedeutung. Der anwesende öster­reichische Landwirtschaftsminister Berlakovich und der derzeitige Ratsvorsitzende der EU, der ungarische Landwirtschaftsminister Fazekas, haben sich dabei nachdrücklich für die Beibehaltung des Pflanzrechts­regimes auch über 2015 hinaus aus­gesprochen. Sie sind dabei in bester Gesellschaft mit den Staatsspitzen der großen EU-Länder Deutschland und Frankreich, Bundeskanzlerin Merkel und Staatspräsident Sarkozy, die sich bereits zu einem früheren Zeitpunkt für die Beibehaltung des derzeitigen Weinrechtsregimes ausgesprochen haben.

Auch der Europäische Bauernverband (COPA) und die Konferenz der Weinbauregionen (AREV) haben klar Position bezogen. Gemeinsam sollte es gelingen, den Ausrutscher in der derzeit gültigen Weinmarktordnung zu korrigieren. Die Europäische Kommission sollte bis zu ihrer Ende 2012 fälligen Bewertung der derzeitigen Marktordnung ebenfalls zur Erkenntnis gelangen, dass in manchen Fällen Freizügigkeit mehr schadet als nützt.